Was ist das beste Bike, um den Giganten der Provence zu bezwingen? Moderne Allround-Race-Bikes kratzen an der magischen 6,8-kg-Marke, sind aero-optimiert und versprechen zusätzlich Komfort. Doch reicht das aus, um den berüchtigten Mont Ventoux zu dominieren und die reinen Kletterspezialisten hinter sich zu lassen?
Inhaltsverzeichnis
- Mont Ventoux – Der Gigant der Provence
- Must Haves für einen Epic Ride – Worauf kommt es an?
- Übersicht aller Rennräder im Test
- Tops und Flops
- The best bike to conquer Mont Ventoux – Das beste Bike für einen Epic Ride
- Erkenntnisse
1600 Höhenmeter auf 21 km. Peitschender Wind, die Sonne im Nacken und Radsport-Geschichte wohin man schaut. Ein monumentaler Anstieg an dem Legenden geschrieben wurden und ein Gipfel, der schon lange auf unserer Test-Location Bucket-List steht. Wir: hyped, die Wettervorhersage: wolkenlos, die große Frage: Welches Bike ist das beste für so eine Herausforderung, und worauf kommt es an?
Ist das Gewicht wirklich immer noch der heilige Gral für Spaß am Berg? Welchen Unterschied machen Geometrie, Handling und Ausstattung? Und was bringen Aero-Optimierungen auf der Abfahrt?
Um herauszufinden, ob reine Climbing-Bikes mittlerweile von den Vorteilen leichter Allround-Racer abgehängt werden und um aufzudecken, welcher Fahrertyp mit welchem Bike am meisten Spaß hat, haben wir vier der aktuell heißesten Bikes für den Titel “King of the Mountain” an den Start gebracht und die Südrampe des Mont Ventoux rauf und runter gejagt. – On y va!
Mont Ventoux – Der Gigant der Provence
Es gibt Orte, die einen sofort in ihren Bann ziehen, und dann gibt es den Mont Ventoux. Er erhebt sich mit seinen 1909 Metern, fast schon trotzig, als einsamer Riese aus der Provence. Sein kahler Gipfel aus weißem Geröll sticht wie ein Mahnmal in den Himmel.
Ein Berg, der seit 1951 die Tour de France prägt, ein Berg, der Geschichten von Triumphen und Niederlagen erzählt und schon lange eine Pilgerstätte des Radsports ist. Zusammen mit dem Col du Tourmalet in den Pyrenäen, der Bergankunft in Alpe d’Huez und dem Col du Galibier in den Hochalpen zählt der Mont Ventoux zu den berüchtigsten Anstiegen der prestigeträchtigsten Rundfahrt. Die Vorzeichen für einen epischen Kampf sind gesetzt!
Durch seine exponierte Lage machen ihn die teils extremen Windverhältnisse und die schattenlose Hitze der Geröllwüste besonders schwierig. Die maximale Windgeschwindigkeit von 320 km/h haben wir zum Glück nicht erlebt. Die schnelle, exponiert gelegene Abfahrt ist durch den böigen Seitenwind aber auch an weniger extremen Tagen tückisch!
Die Nordflanke des Bergs ist Anfang April immer noch vereist. Die Rampe im Süden startet in der Ortschaft Bédoin und gibt auf den ersten noch recht flachen Kilometern den Blick auf den weißen Gipfel frei.
Da geht’s rauf!? – Eine Mischung aus Hype und Ehrfurcht macht es schwer, die ersten Kilometer nicht zu überpacen. Eine scharfe Kurve beendet das Warmfahren abrupt und führt auf einen 9 km langen, knackigen Anstieg durch den Wald. Die Steigungsanzeige auf dem Radcomputer schwankt zwischen 9 und 14 %. Der Puls steigt und die Gedanken schweifen zu den hier bestrittenen Kämpfen im Peloton und den Helden der Vergangenheit.
Eine kurze Pause am Chalet Reynard, und weiter geht es auf den letzten Kilometern zum Gipfel. Hier begegnet man World Tour-Profis und Hobby-Athleten in ihrer Pain-Cave, Opi’s auf Klapprädern und Pärchen auf Tandems mit einem fetten Grinsen im Gesicht. Jeder mit einem eigenen Mindset und unterschiedlichen Ansprüchen an sich selbst und das eigene Bike. Eins haben jedoch alle gemeinsam: Das Ziel an der ikonischen Wetterstation auf dem Gipfel.
Oben angekommen, vereint ein roter Kopf und die Passion für den Radsport alle, die es hoch geschafft haben. Für Pogi’s KOM mit 59 Minuten und 57 Sekunden hat es nicht ganz gereicht, was wir auf Christophs Platten und den Stopp für die kalte Cola am Chalet Reynard schieben 😉. Ein paar Bilder mit dem Gipfel-Schild, Snacks und einen Klecks Kaffeepaste aus der Trikottasche und euphorische Momente mit grandioser Aussicht später wird es Zeit für die Abfahrt.
Die weit gezogenen Kurven, der hervorragende Grip auf dem trockenen Asphalt und die langen Geraden verleiten dazu, den Finger von der Bremse zu lassen. Der Wind pfeift durch den Helm und der Freilauf versucht, es mit dem Sound der Supermotos aufzunehmen.
BAM. Ein Knall reißt uns aus dem Flow. Eine tiefe Furche im Asphalt schickt einen kräftigen Schlag durchs Bike in die Hände und katapultiert eine Trinkflasche ins Geröllfeld.
Die exponierte Straße schlängelt sich den Südhang entlang und wird immer wieder von einem kräftigen Seitenwind erfasst. Zurück im Wald lässt der Wind nach, der Asphalt wird smoother, doch enge Kurven und schnelle Richtungswechsel halten den Adrenalinspiegel konstant bis zu den letzten Kilometern zurück nach Bédoin.
Im Bistrot angekommen, verdrängen wir Laktat und Adrenalin mit Espresso aus unserer Blutbahn und füllen die leeren Speicher mit Pain au Chocolat wieder auf. Darüber, dass das ein echter Bucket-List-Ride war, müssen wir nicht diskutieren, aber was hat ihn so gut gemacht? Welche Rolle haben die Bikes, auf denen wir saßen, gespielt und welches Bike fahre ich morgen?
Hier beginnt unsere Arbeit, die über das stumpfe Gegenüberstellen von Prüfstandsmessergebnissen hinausgeht und euch echte Fahreindrücke und Bewertungen unserer erfahrenen und divers aufgestellten Testcrew bietet. Unsere Testberichte gehen über das Quartett-artige Vergleichen von Tretlagersteifigkeit und Gewicht hinaus. Wir betrachten das Bike als Gesamtsystem voller Wechselwirkungen und Abhängigkeiten, das wir im Kontext des Einsatzgebiets und den Vorlieben verschiedener Fahrertypen bewerten und einordnen. Worauf kommt es bei einem epischen Anstieg also an, und was muss ein Rennrad können, um so einer Tour die Kirsche aufzusetzen?
Must-haves für einen Epic Ride – Was muss ein Rennrad am Berg können ?
Wer sich schon mal den Traum erfüllt hat, eine Tour zu fahren, die schon seit Jahren im Kopf rumschwirrt, weiß, wie groß die Unterschiede zum gewohnten After-Work-Ride-Out sein können. Der monatelange Hype, die minutiös geplante Route und der angeheizte Gruppenchat in den Wochen vor dem Trip sorgen für Spannung, hohe Erwartungen und eine Menge Vorfreude. Das Letzte, was man an einem so besonderen Tag möchte, ist ein Bike, das nicht so will wie man selbst. Um einen epischen Anstieg wie den Mont Ventoux bestmöglich zu begleiten, muss ein Bike einige Eigenschaften mitbringen:
Antritt und Beschleunigung
Klar, bei einem Anstieg von 1600 Höhenmetern sind eine leichtfüßige Beschleunigung und ein knackiger Antritt am Berg besonders wichtig. Hier spielt die Gewichtsverteilung des Bikes, das Trägheitsmoment der rotierenden Masse und natürlich auch das Gesamtgewicht eine entscheidende Rolle. Ein besonders spritziges Bike sorgt für Fahrspaß und ist gleichzeitig Motivator bei langen, steilen Climbs.
Handling – der Hauptfaktor im Rennrad Test
Das Handling ist die Königsdisziplin eines Fahrtests und der ausschlaggebende Faktor, in welchen Situationen ein Bike funktioniert. Beim Herausfahren des Handlings achten wir darauf, wie agil ein Bike auf einer Skala von verspielt bis träge ist. Wie präzise es sich in der Kurve verhält und wie direkt Lenkimpulse umgesetzt werden. Besonders gute Bikes finden dabei den Sweetspot zwischen Agilität und Laufruhe und verfügen über ein präzises und direktes Kurvenverhalten, ohne nervös oder schwammig zu werden. Für lange Tage am Berg ist besonders das Verhalten bei niedrigen Geschwindigkeiten am Anstieg und bei Topspeed in der Abfahrt wichtig und ausschlaggebend dafür, wie wohl man sich auf dem Rad fühlt.
Seitenwindanfälligkeit – am Mont Ventoux ein wichtiger Faktor
Gerade in den Bergen und auf schnellen Abfahrten in exponierter Lage ist die Seitenwindanfälligkeit ein Sicherheitsfaktor, der schnell für unschöne Schreckmomente sorgen kann. Lässt sich das Bike bei Seitenwind schwer kontrollieren, sorgt das für ein gemindertes Selbstbewusstsein und Sicherheitsgefühl und letztendlich für weniger Spaß in der Abfahrt.
Kontrolle und Vertrauen für rasante Abfahrten
Bedingt durch das Handling, die Seitenwindanfälligkeit, aber auch die Verarbeitungsqualität und die Performance der Anbauteile, sind die Kontrolle über und das Vertrauen in das Bike ausschlaggebend für das Sicherheitsgefühl und die Motivation, die eigenen Grenzen auszutesten. Ein nervöses Rad kostet viel Energie und Konzentration und lenkt vom eigentlichen Erlebnis ab. Rennradfahren ist per se schon riskant; unsicheres Material ist hier fehl am Platz. Ein berechenbares Handling ohne Überraschungen im Grenzbereich sowie eine hohe Qualität und Performance der Komponenten sorgen für Vertrauen zum Rad und ein besser kalkulierbares Risiko.
Komfort am Rennrad
Wer komfortabel sitzt, ist länger schnell und muss weniger Strapazen durchstehen. Gerade auf langen, harten Touren kann der Komfort den Unterschied zwischen einem Epic Ride und einer legendären Tortur machen. Eine höhere Compliance sorgt für eine bessere Kontrolle auf Abfahrten und eine langsamere Ermüdung der Haltemuskulatur. Besonders gute Bikes schaffen es, Vibrationen und Schläge zu dämpfen, ohne die Präzision der Lenkung oder die Effizienz der Kraftübertragung zu beeinträchtigen.
Fahrspaß
Die Quintessenz aus Handling, Geschwindigkeit, Kontrolle, Komfort, Optik, Haptik und Funktionalität. Mehr ein Gefühl als ein quantisierbarer Wert. Für alle, denen das zu vage ist, haben wir bereits vor Jahren eine allgemeingültige Fahrspaß-Formel aufgestellt:
Anzahl der Lachfalten
+ Anzahl der Freudentränen
x Dreckspritzer auf den Zähnen²
÷ Fahrzeit
= Fahrspaß
Übersicht aller Rennräder im Test
Welche Bikes kommen bei einem Shootout am Mont Ventoux überhaupt in Frage? Wir haben uns dazu entschieden, vier Bikes mitzunehmen – vom sehr leichten Kletterspezialisten, weit unter dem UCI-Gewichtslimit, bis zum sportlichen Allround-Racer knapp darüber. Von der Ausstattung schenken sich die vier Anwärter nichts. Alle kommen im Top-Spec mit Shimano Dura-Ace oder SRAM RED und auch optisch machen alle vier Bikes klar, dass sie nicht zum Bummeln hier sind. Dieser absolute Performance-Anspruch schlägt sich allerdings auch im Preis nieder. Mit 11.324,25 € im Durchschnitt ist klar, dass nicht nur die Teststrecke in Superlativen gedacht ist.
Bike | Gewicht | Preis | Schaltgruppe | Laufräder |
---|---|---|---|---|
S Works Tarmac SL8 | 6,96 kg | 14.000 € | SRAM Red eTap AXS | ROVAL Rapide CLX II |
Canyon Ultimate CFR Di2 Aero | 6,72 kg | 9.999 € | Shimano Dura Ace Di2 | DT Swiss ARC 1100 Dicut db |
Giant TCR Advanced SL | 6,5 kg | 12.299 € | Shimano Dura Ace Di2 | Cadex Max 40 |
Rose XLITE UNLTD | 7,16 kg | 8.999 € | Shimano Dura Ace Di2 | DT Swiss ARC 1100 62DB |
S-Works Tarmac SL8
Das Specialized Tarmac SL8 ist das schnellste Bike der Amerikaner und bekannt für seine beeindruckende Aero-Performance und Leichtbauweise. In Kombination mit einem hohen Maß an Komfort soll es ideal für lange, anspruchsvolle Strecken sein. Wie schlägt sich das teuerste Bike im Shootout am legendären Mont Ventoux? Das verraten wir euch im Test!
Canyon Ultimate CFR Di2 Aero
Das Canyon Ultimate CFR Di2 Aero kombiniert Leichtgewicht und Aero-Effizienz und ist mit seinen 6,72 kg das zweitleichteste Bike im Vergleich. Mit 50 mm tiefen Aero-Laufrädern verspricht es eine perfekte Balance aus Fahrstabilität und Geschwindigkeit. Wie es sich am Mont Ventoux geschlagen hat und welche Stärken es wirklich ausspielt, erfahrt ihr hier.
Giant TCR Advanced SL
Das Giant TCR Advanced SL ist ein absoluter Kletterspezialist und mit nur 6,5 kg leichter, als die UCI erlaubt! Und das trotz 40 mm tiefer Aero-Laufräder und Scheibenbremsen! Mit seiner Effizienz und perfekten Abstimmung für steile Anstiege will es seine Klasse am legendären Mont Ventoux unter Beweis stellen. Ob das klappt, erfahrt ihr in unserem Test!
Rose XLITE UNLTD
Das Rose XLITE UNLTD ist mit 7,16 kg das “schwerste” Bike im sehr leichten Testfeld und rollt auf den tiefsten Laufrädern. Als Allround-Race-Bike steht es somit klar in der Aero-Ecke. Klingt wie ein Handicap für einen Test am Mont Ventoux, aber wie groß sind die Unterschiede wirklich? Wir haben es für euch herausgefunden.
Tops und Flops
Tops
Flops
The best bike to conquer Mont Ventoux – Das beste Rennrad für einen Epic Ride
Nach vielen tausend Höhenmetern, rasanten Abfahrten und vergossenem Blut, Schweiß und Espresso haben wir ihn auserkoren: den King of the Mountain, das beste Rennrad für lange Tage mit epischen Aussichten. Aus dem Testfeld konnte ein Bike herausstechen, das uns besonders motiviert hat, die eigenen Grenzen auszutesten. Durch sein verspieltes Handling mit extrem präziser Lenkung, den leichtfüßigsten Antritt, hohen Komfort und eine verdammt schnelle Optik konnte das Giant TCR Advanced SL auf den ersten Platz fahren.
Ein Bike, bei dem wir konstant das Gefühl hatten, genau das richtige Tool für den Job dabei zu haben, das uns nur positiv überrascht hat und unterm Strich den meisten Fahrspaß auf die Straße bringen konnte. Der verdiente Sieger des Titels “The best bike to conquer Mont Ventoux”: Das Giant TCR Advanced SL.
Erkenntnisse
Aero-Optimierungen:
Ja, selbst bei langen Touren am Berg sind aerodynamische Optimierungen spürbar. Gerade bei leichten Steigungen kann man davon profitieren, und auch mit tiefen Laufrädern kommt man sehr gut den Berg hinauf. Auf Abfahrten mit Seitenwind können jedoch tiefgezogene Rahmenformen und Laufräder mit einer größeren Angriffsfläche schnell zum Nachteil werden.
Da grob 75 % des Gesamtluftwiderstands vom Fahrer verursacht wird, bestimmt vor allem die Position auf dem Bike die Höchstgeschwindigkeit bei der Abfahrt. Eine zu aggressive Geometrie, die den Fahrer in eine tiefe Sitzposition zwingt, sorgt allerdings für einen immensen Komfortverlust bergauf. Daher kommen wir zum Schluss: Aero ja, aber in Maßen.
Gewicht:
Gewicht ist zwar wichtig, wenn es um die Zeit geht, in der eine Masse durch eine gewisse Kraft an Höhe gewinnen kann. Die 600 Gramm Unterschied zwischen dem leichtesten und schwersten Bike waren aber nicht ausschlaggebend für den Testsieg. Wer Gewicht einsparen möchte, sollte dies vor allem an rotierenden Teilen tun. Laufräder, Reifen, Schläuche oder Kassetten sind ein guter Start und müssen nach einiger Zeit sowieso ersetzt werden..
Geometrie:
Statt des Gewichts war es vor allem die Geometrie der Bikes, die für Unterschiede gesorgt hat. Eine auf lange Kletterpassagen ausgelegte Geometrie macht einen echten Unterschied im Komfort, in der gefühlten Effizienz der Kraftübertragung und in der tatsächlichen Power auf dem Pedal. Wer sich wohlfühlt und nicht verkrampft auf dem Bike sitzt, kann mehr Kraft aufbringen, und das bringt am Berg deutlich mehr Geschwindigkeit und Fahrspaß als eine Aero-Sitzposition.
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Text & Fotos: Jan Richter