Das belgische Unternehmen Classified präsentiert eine 2-fach-Getriebenabe und sagt dem Umwerfer den Kampf an. Mit der gleichen Übersetzung und Bandbreite herkömmlicher Systeme soll die Getriebenabe den Radsport revolutionieren und das schwächste Glied des Kettenantriebs ins Jenseits verbannen. Wir haben die Classified-Nabe ausgiebig mit dem Ridley Kanzo Fast-Gravel-Bike für euch getestet!

Classified Cycling? Noch nie gehört? Das ist gut möglich, denn das belgische Unternehmen dürfte bisher nur wenigen ein Begriff sein. Die letzten sieben Jahre hat ein Team aus Fahrrad-verrückten Tüftlern klammheimlich an einer Revolution für den Fahrradmarkt gewerkelt. Das Ergebnis dürfte dem Herrn Umwerfer weniger gefallen: Er wurde schlicht und einfach wegrationalisiert. Ausgelöscht und für immer in die Antiquitätenkammer verbannt, wo er in trauriger Gesellschaft von 3-fach-Kurbeln und Felgenbremsen ein Schattendasein fristen wird. Der Ersatz ist aber keinesfalls ein weiteres 1×11-, 1×12-, 1×13- oder gar ein 1×14-System, sondern etwas komplett Neues und nie Dagewesenes: 1×22! Kompletter Humbug oder ein Quantensprung in puncto Schaltgruppen-Performance am Fahrrad? So viel sei verraten: Die Jungs und Mädels von Classified Cycling könnten mit ihrer Idee dafür gesorgt haben, dass die Fertigungsmaschinen von Umwerfern schon bald auf dem Sperrmüll stehen … .

Welche Infos findet ihr in diesem Test?

I have a dream

Die Idee ist so simpel wie genial zugleich: Man verlagert die Funktion des oft hakeligen, dem breiten Hinterreifen immer wieder in den Weg kommenden und optisch wenig ansprechenden Umwerfers nach hinten und versteckt sie geschützt vor Umwelteinflüssen in der Hinterradnabe. Classified hat dafür ein elektronisch gesteuertes Getriebe in die Nabe integriert, das identisch zum Umwerfer zwischen einer 1:1- und einer 0,7:1-Übersetzung hoch- und runterschaltet und vom Lenker aus bedient wird. Zum Vergleich: Herkömmliche Kettenblatt-Kombinationen weisen folgende Übersetzungsverhältnisse auf:

  • 53/39 entspricht 0,73:1
  • 52/36 entspricht 0,69:1
  • 50/34 entspricht 0,68:1
  • SRAM 50/37 entspricht 0,74:1
  • SRAM 48/35 entspricht 0,72:1
  • SRAM 46/33 entspricht 0,71:1

Kommt das Classified-System zum Einsatz, bleibt die Kettenschaltung als solche bestehen und nur das laut dem belgischen Unternehmen schwächste Glied, der Umwerfer, wird verbannt – nie wieder Kettenabfaller und zerkratzte Kettenstreben. Dafür versprechen die Belgier mehr Schaltgruppen-Effizienz, aerodynamische Vorteile, die Möglichkeit für breitere Hinterreifen (wenn es das hintere Rahmendreieck zulässt), Verlässlichkeit und natürlich das A und O im Radsport: ein cleanes und aufgeräumtes Bike!

Die Classified-Komponenten im Detail

Classified Power Shift-Nabe

Die Getriebenabe enthält Classifieds Kerntechnologie: ein elektronisch gesteuertes Planetengetriebe mit zwei Getriebeübersetzungen, das aus einer Vielzahl von Zahnrädern besteht. Vereinfacht lässt es sich so darstellen: Im direkten Gang, also der 1:1-Übersetzung, werden die Zahnräder des Getriebes fest gekoppelt, was dazu führt, dass sich Kassette und Nabe gleich schnell drehen und auf eine Nabenumdrehung eine volle Kassettenumdrehung erfolgt. In der 0,7:1-Untersetzung müssen die Kräfte über die Planetenzahnräder abgewälzt werden, was zur Folge hat, dass sich bei einer Kassettenumdrehung die Nabe bzw. das Rad nur 0,682 mal dreht und man im „kleineren“ Gang fährt. Die Energie für den Schaltvorgang kommt von der Classified Smart Thru Axle-Steckachse, die Nabe selbst enthält keine Batterie. Das soll laut Hersteller schnelle und unkomplizierte Laufradwechsel ermöglichen. Logischerweise ist die Power Shift-Nabe auch nur mit der Smart Thru Axle und keinen anderen Steckachsen kompatibel.

Classified-Kassette

Aufgrund der Bauweise des Systems und dem Platz, den das Planetengetriebe benötigt, kann auf die Classified-Nabe keine herkömmliche Kassette geschraubt werden. Die eigens entwickelte 11-fach Classified-Kassette ist in vier Abstufungen erhältlich: 11–27, 11–30, 11–32 und 11–34. Dadurch sollte es vom ambitionierten Rennradfahren bis hin zum entspannten Gravel-Touren vielen Fahrertypen möglich sein, das für sie passende Setup zu finden. In Kombination mit der Power Shift-Nabe kommt man so auf ein Übersetzungsverhältnis von bis zu 451 %. Die Classified-Kassette ist mit Shimanos 11-fach-Ketten CN-HG601-11, CN-HG701-11 und CN-HG901-11 oder den KMC X11- und DLC11-Ketten kompatibel.

Schaltgruppe Shimano GRX Di2 Classified 1×22 Shimano ULTEGRA Di2 2×11 SRAM RED eTap AXS 2×12 SRAM RED eTap AXS 1×12
Kassette 11–34T 11–42T 10–33T 10–50T
Kurbel 50–34T 46–33T
Bandbreite Kassette 309 % 382 % 330 % 500 %
Bandbreite Insgesamt 451 % 562 % 458 % 500 %

Classified Lenker-Einheit

Die Lenker-Einheit besteht aus einem drahtlosen Sender, der in einem Shimano Di2-kompatiblen Lenker verschwindet, der ein Loch für die Verkabelung am Lenkerende bietet. Der Sender kann entweder per Shimano Di2-Schalthebel oder per Satellitenschalter bedient werden. Dadurch ist es möglich, das Classified-System auch mit SRAM-, Campagnolo- und auch mit mechanischen Schaltgruppen zu fahren. Eine 12-fach-Kassette ist aktuell in der Entwicklung und wird in Zukunft für eine Kompatibilität mit 12-fach-Schaltgruppen erhältlich sein. Die Einheit wird von einer CR1632-Batterie mit Energie versorgt, die laut Hersteller über ein Jahr lang hält und einfach zu wechseln ist, ohne das Lenkerband wechseln zu müssen.

Classified Smart Thru Axle

Die Smart Thru Axle ist Classifieds proprietäre Steckachse und empfängt das drahtlose Schaltsignal der Lenker-Einheit. Sie treibt den elektronischen Schaltvorgang in der Nabe mittels kontaktloser Energieübertragung über eine Induktionsspule an. Die Achse – aktuell nur in einer Version für 12 x 142-mm-Bikes verfügbar – wird über einen Micro-USB-Anschluss geladen und hält laut Hersteller mit einer Ladung mehr als drei Monate oder 10.000 Schaltvorgänge lang, für den Schaltvorgang soll lediglich eine Leistung von einem Watt notwendig sein. Sowohl die Lenkereinheit als auch die Steckachse verfügen über LEDs, die beim Schalten aufleuchten – die Farbe zeigt dabei den Ladezustand der Batterie an. Zusätzlich kann der Ladestand durch ein Drücken der Status-Taste am Lenker-Sender oder an der Steckachse überprüft werden. Außerdem ist eine ANT+ Kommunikation mit GPS-Computern möglich, um sich die aktuelle Getriebeübersetzung visuell anzeigen zu lassen.

Classified-Nabengehäuse

Das Nabengehäuse lässt sich ohne viel Mühe von der Power Shift-Nabe trennen, sodass mehrere Laufradsätze in Kombination mit nur einer Power Shift-Nabe genutzt werden können. Einfach den gewählten Laufradsatz, der mit einem Classified-Nabengehäuse ausgestattet ist, über die Power Shift-Nabe schieben und sich dadurch an das jeweilige Terrain anpassen – so einfach kann es sein. Es ist dabei keine Veränderung der Lagervorspannung oder ein erneutes Pairing zwischen Lenkereinheit und Smart Thru Axle nötig. Die Nabengehäuse sollen laut Hersteller schon bald auf der Classified-Website bestellbar sein, ebenso wie eine optisch dazu passende Vorderradnabe. Ein Wechsel der Vorderradnabe ist – außer aus ästhetischen Gründen – jedoch nicht notwendig.

An welches Bike passt das Classified-System?

Wie bereits erwähnt, müssen einige Voraussetzungen erfüllt werden, damit das Classified-System ans Bike montiert werden kann – aktuell ist das System nur für Erstausrüster erhältlich.

  • Schaltgruppe Sowohl elektronisch, als auch mechanisch. Entweder direkt per Shimano Di2-Schalthebel bedienbar, oder per Sattelitenschalter (Shimano mechanisch, SRAM, Campagnolo).
  • Lenker Muss ein Loch für die Verkabelung am Lenkerende aufweisen und damit Shimano Di2-kompatibel sein.
  • Rahmen Aktuell nur für Bikes mit 12 x 142-mm-Hinterbau geeignet, soll in Zukunft auch für Mountainbikes und Zeitfahrräder erhältlich sein.
  • Laufräder Unabhängig von der Laufradgröße, Hinterrad muss mit Classified-Nabengehäuse eingespeicht werden.
  • Kurbel Beliebig wählbar und mit allen Kurbel- oder Pedal-basierten Powermetern kompatibel. Das Kettenblatt muss mindestens 40 Zähne haben; optimiert für 40T bis 54T.
  • Bremse Disc bzw. Centerlock-only

Apropos Kompatibilität: Rollentrainer, die zur Montage des Bikes auf dem Trainer eine Klemmung der Hinterradnabe nutzen, können mit dem Classified-System nicht verwendet werden. Bei Trainern, die über eine eigene Kassette verfügen, entfällt entsprechend die Möglichkeit zum Schalten bzw. der Änderung der Übersetzung über das Classified-System

Wie viel wiegt das Classified-System?

Im Gegensatz zu anderen Getriebenaben wird dem Bike laut Hersteller kein Extragewicht hinzugefügt, es soll genauso leicht oder sogar leichter als ein traditionelles Bike mit elektronischem 2×11-fach Antrieb sein; als Referenznabe gibt Classified die DT Swiss 350-Nabe an. Ganz konkret soll ein Bike mit Classified-System und Shimano GRX Di2-Schaltgruppe exakt so viel wiegen (+/- 10 g) wie ein Bike mit Shimano GRX RX815 Di2 2×11-fach Antrieb.

Das Classified-System im Test

Selten waren wir vor einer Neuvorstellung so gespannt wie vor dem Test der Classified-Nabe. Die Erwartungen waren nach der Präsentation hoch und die Meinungen klar: Sollte das System ohne Fehl und Tadel funktionieren, könnte es ein waschechter Gamechanger sein!

Beim ersten Blick auf das Bike, ein Ridley Kanzo Fast-Gravel-Bike, ist das Classified-System kaum zu enttarnen. Die Shimano Di2-Schalthebel befinden sich ohne Modifikationen im Originalzustand und auch das Hinterrad bzw. die Nabe ist kaum von einem herkömmlichen Modell zu unterscheiden. Einzig der Empfänger der Steckachse auf der Nicht-Antriebsseite verrät, dass es sich um kein gewöhnliches Bike mit 1×11-fach Schaltgruppe handelt.

Die ersten Schaltvorgänge mit der Classified-Nabe sind wirklich verblüffend und ein völlig neues Gefühl des Schaltens. Nahezu geräuschlos und nur einen Wimpernschlag nach dem Betätigen des Schalthebels wird hoch- oder runtergeschaltet. Auch unter Last verrichtet das System ohne Meckern seinen Dienst, egal ob in einem niedrigen Gang am Anstieg oder einem hohen Gang in der Beschleunigungsphase. Einzig das Runterschalten unter hoher Last hat systembedingt ein leichtes Krachen zur Folge, wie wir es auch beim klassischen Umwerfer gewohnt sind. Ansonsten hat das Schalten nichts mehr mit dem eines Umwerfers gemeinsam! Das sofortige und größtenteils geräuschlose Schalten aufs „virtuelle“ kleine bzw. große Kettenblatt ist nach vielen Jahren mit dem Umwerfer und noch mehr Kettenabwürfen revolutionär! Wenn man ohne Druck aufs Pedal schaltet, bekommt man vom Schaltvorgang überhaupt nichts mit. Auch ein Schalten im Stand – beispielsweise an einer Ampel – ist ohne Probleme möglich. Der Schaltvorgang wird dann ausgeführt, sobald ihr wieder ins Pedal tretet.

Die Classified-Kassette überzeugt mit einer tollen Schalt-Performance und steht ihrem japanischen Pendant aus dem Hause Shimano in nichts nach. Die Kette wird flüssig hoch- und runtertransportiert und im Gegensatz zu anderen Fremdhersteller-Varianten kann die Classified-Kassette vollends überzeugen. Passend zum leisen Betrieb der Nabe passt auch das fehlende Geräusch des Freilaufs. Es ist kein Surren zu hören und ihr könnt euch ohne Nebengeräusche voll auf die Natur konzentrieren. Wer jedoch bisher den Freilauf seiner vorherigen Nabe als Klingelersatz benutzt hat, muss sich jetzt etwas anderes überlegen.

Um euch den aktuellen Gang anzeigen zu lassen, könnt ihr euren GPS-Computer per ANT+ mit dem Classified-System koppeln. Das Laden der Batterie, die in der Steckachse untergebracht ist, erfolgt unkompliziert per Micro-USB. Während unserer Testdauer konnten wir die Ladekapazität nicht erschöpfen, weshalb die angegebene Hersteller-Laufzeit von drei Monaten durchaus plausibel erscheint.

In puncto Effizienz verspricht der Hersteller Werte nahe der 100%-Grenze. Unsere Tester, die regelmäßig die feinsten Schaltgruppen fahren, die man sich derzeit für Geld kaufen kann, konnten im Vergleich keine Unterschiede feststellen. Auch konnten wir während unserer Testdauer keinen nennenswerten Verschleiß feststellen. Um hier eine verlässliche Aussage treffen zu können, müsste man die Classified-Nabe jedoch mehrere tausend Kilometer gefahren sein.

Leider hatten wir während unserer Testdauer sporadisch mit einem Software-Problem zu kämpfen. Bei mehreren Schaltvorgängen in kurzer Zeit leuchtete die LED der Steckachse dauerhaft und es war kein Schalten mehr möglich. Erst nachdem sich das System von alleine nach einer gewissen Zeit abgeschaltet hat und man nach einer Pause weitergefahren ist, konnte wieder geschaltet werden. Laut Hersteller ist das Problem bekannt und inzwischen auch eliminiert, sodass laut Classified kein Bike mehr mit diesem Software-Bug ausgeliefert wird.

Unser Fazit zur Classified-Nabe

Man sollte mit Worten wie Revolution oder Gamechanger maßvoll haushalten, sonst verlieren sie schnell an Bedeutung. Die Classified-Nabe hat uns jedoch während und nach unserem ausführlichen Test nachhaltig vom Hocker gehauen und bringt das Potenzial mit, den Umwerfer im Performance-Bereich komplett zu verbannen. Das Hoch- und Runterschalten gelingt fast ohne Zeitverzögerung und schneller als mit dem Umwerfer, funktioniert auch unter Last tadellos und das mit einer bedeutend geringeren Geräuschkulisse als mit einem Umwerfer. Einzig ein Fehler in der Software hat den Testeindruck etwas getrübt. Sollte dieser jedoch ausgebessert sein, werden sich Biker und Rad-Entwickler auf der ganzen Welt über Räder freuen, die ohne Umwerfer auskommen!

Tops

  • sofortiger Schaltvorgang
  • Schalten unter Last und im Stand möglich
  • flüsterleise
  • cleaner, integrierter Look bei feiner Abstufung
  • Möglichkeit für breitere Hinterreifen, wenn es der Hinterbau zulässt
  • mehr Spielraum für Bike-Entwickler
  • geringeres Risiko von Kettenabfallern

Flops

  • bei Nachrüstung am bestehenden Bike muss viel umgebaut werden
  • Software-Problem am Test-Bike mit alter Software-Version

Mehr Informationen zur Classified-Nabe erhaltet ihr unter classified-cycling.cc


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Text: Fotos: Valentin Rühl, Philipp Schwab