Das Cervélo R5 spielt bereits seit vielen Jahren auf den Spielplätzen der Grand Tours mit und hat bereits vor Veröffentlichung eins der großen Etappenrennen gewonnen. Kann das 2022er Rennrad auch abseits der Berge überzeugen oder ist es eine reine Kletterziege? Wir haben das R5 Force eTap AXS bereits für euch getestet!
Ist eine Bergetappe bei einer Grand Tour nicht der absolute Wahnsinn? Für Fans an der Strecke ist es die ultimative Gaudi, für Verantwortliche und Organisatoren der absolute Stresstest und für Betreuer und Teams eine riesige Nervenschlacht. Ein Fahrer nach dem anderen fällt aus der Spitzengruppe raus und man hofft, dass der nächste Abgehängte nicht der eigene Kapitän ist. Die Fahrer selbst sind schon seit einiger Zeit in ihrer eigenen Welt und bekommen vom Trubel, der Wand aus frenetisch anfeuernden Fans, auf die sie zufahren, und den Anweisungen der Teamleitung nicht mehr viel mit. Alles, was zählt, sind die eigenen Beine, die verbleibende Kraft und ein Bike unter dem Hintern, das die restlichen Energiereserven so weit wie möglich konserviert. Und genau für diesen Einsatz verspricht Cervélo, das perfekte Tool erschaffen zu haben: das nagelneue R5.
Gehen wir mal kurz die Anforderungen durch, die ein Bike für oben genanntes Szenario erfüllen muss. Was kommt einem als Erstes in den Sinn? Klar, ein möglichst geringes Gewicht. Das war auch dem Entwicklerteam der kanadischen Bike-Marke bewusst und so wurde einiges an Gehirnschmalz und Know-how in die Gewichtsoptimierung der inzwischen vierten Generation des R5 gesteckt. Das Ergebnis lässt sich durchaus sehen: Stolze 130 g hat der Rahmen im Vergleich zum Vorgänger abgespeckt, was in diesem High-Performance Rennrad-Universum einer halben Galaxie entspricht. Das Rahmenset liegt laut Cervélo mit 703 g für den Rahmen und 329 g für die Gabel nur noch knapp über der 1-kg-Marke. Damit soll es ohne Probleme möglich sein, ein Bike am UCI-Gewichtslimit von 6,8 kg aufzubauen, zumal mehrere Komponenten wie Sattelstütze, Vorbau und Lenker ebenfalls auf Diät gesetzt wurden.
Was sollte ein Rennrad noch beherrschen, das laut Hersteller nur ein Ziel hat: den Fahrer möglichst schnell auf den Gipfel zu bringen? Neben einem möglichst geringen Gewicht sind eine perfekte Kraftübertragung und maximale Effizienz mindestens genauso wichtig. Bei der Entwicklung der vorherigen R5-Generation wurde noch das Prinzip verfolgt, sich zu sehr auf die Steifigkeitswerte zu konzentrieren. Das hat dazu geführt, dass das Rennrad in der Front zu steif wurde und nicht mit dem Komfort des Hinterbaus mithalten konnte. Vor allem bei einer Grand Tour, bei der über mehrere Wochen konstante Spitzenleistungen gefordert werden, ist ein ausgeglichenes Komfort-Level jedoch von größter Bedeutung. Nur ein verhältnismäßig ausgeruhter Fahrer kann auch nach 10 Tagen noch am Berg attackieren. Das ist jedoch nicht möglich, wenn er die vorherige Woche von seinem Rennrad verprügelt wurde und jede noch so kleine Unebenheit des Bodens mit dem eigenen Körper abfangen musste. Deshalb haben die Entwickler bei Cervélo Anpassungen an Steuerrohr und Gabel vorgenommen, um der Front ein Komfortplus zu spendieren, ohne an erforderlicher Steifigkeit einzubüßen.
Auch die Reifenfreiheit ist von 30 mm auf für ein Rennrad dieser Kategorie beachtliche 34 mm gestiegen. Ein weiterer Komfort-Booster soll ein insgesamt kleinerer Rahmen sein, da Oberrohr und Sitzstreben etwas niedriger ausfallen. Dadurch ist es möglich, eine längere Sattelstütze mit mehr Compliance zu fahren. Zu guter Letzt haben die Kanadier laut eigener Aussage nicht aus den Augen verloren, was im Zahlendschungel über Steifigkeits- und Komfortwerte sonst gerne mal vergessen wird: Ein Bergrennen besteht nur selten aus einer einzigen Steigung. Und auch wenn ein Rennen meistens nicht auf der Abfahrt gewonnen wird, so kann es dort sehr wohl verloren werden. Ein Bike für die Berge, das schon bei einer Haarnadelkurve die Segel streicht, ist für Cervélo wie eine Tasse koffeinfreier Kaffee. Recht haben sie!
Details, Ausstattung und Geometrie des neuen Cervélo R5
Das neue Cervélo R5 ist in insgesamt vier verschiedenen Versionen erhältlich, je zwei mit SRAM- und zwei mit Shimano-Schaltgruppen. Jedoch muss keine der Versionen auf die asymmetrisch aufgebauten New Reserve Carbon-Felgen oder die Carbon-Anbauteile verzichten, sie unterscheiden sich im Prinzip nur bei der Wahl der verbauten Schaltgruppen. Das Topmodell hört auf den Namen R5 Red eTap AXS und kostet 11.999 €, auf Shimanos Seite steht hier das R5 Dura Ace Di2 für den gleichen Preis und mit der neuen DURA-ACE Di2 9200-Schaltgruppe, die wir bereits ausführlich für euch getestet haben. In der günstigeren Preiskategorie finden sich die Modelle R5 ULTEGRA Di2 für 8.299 € und das von uns getestete R5 Force eTap AXS, das für 8.799 € erhältlich ist. Hier ist die Wahl der Übersetzung mit 48/35T in der Front und 10–33T im Heck für die meisten Einsatzszenarien sinnvoll gewählt und die SRAM Force eTap AXS-Schaltgruppe überzeugt mit solider Performance und guter Bremsleistung. Optisch fällt sie neben dem ansprechenden Bike jedoch etwas ab und wer in puncto Ästhetik keine Kompromisse eingehen möchte, wird zur Version mit RED eTap AXS greifen. Unser Test-Bike kommt in Größe 56 auf 7,44 kg, was für ein Kletter-Bike schon eine Menge ist. Hier besteht angesichts des leichten Rahmensets aber noch viel Tuning-Potenzial. Wer sich sein R5 nach eigenen Vorlieben und Komponenten aufbauen möchte, kann sich auch das Rahmenset an den Montageständer hängen.
Cervélo R5 Force eTap AXS
8.799 €
Ausstattung
Sattelstütze Cervélo SP24 Carbon Aero Post
Bremsen SRAM Force HRD 160/160 mm
Schaltung SRAM Force eTap AXS 48/35T (10–33T)
Vorbau Cervélo ST31 Carbon 100 mm
Lenker Cervélo HB13 Carbon 420 mm
Laufräder New Reserve 34/37
Reifen Vittoria Corsa TLR G2.0 25C
Technische Daten
Größe 48 51 54 56 58 61
Gewicht 7,44 kg
Laufradgröße 700C
Größe | 48 | 51 | 54 | 56 | 58 | 61 |
---|---|---|---|---|---|---|
Sattelrohr | 403 mm | 434 mm | 463 mm | 486 mm | 503 mm | 526 mm |
Oberrohr | 515 mm | 531 mm | 548 mm | 564 mm | 581 mm | 598 mm |
Steuerrohr | 93 mm | 114 mm | 137 mm | 163 mm | 192 mm | 218 mm |
Lenkwinkel | 71° | 72° | 73° | 73° | 73° | 73° |
Sitzwinkel | 73° | 73° | 73° | 73° | 73° | 73° |
Kettenstrebe | 410 mm | 410 mm | 410 mm | 410 mm | 410 mm | 410 mm |
BB Drop | 74,5 mm | 74,5 mm | 72,0 mm | 72,0 mm | 69,5 mm | 69,5 mm |
Radstand | 972 mm | 974 mm | 977 mm | 994 mm | 1.011 mm | 1.028 mm |
Reach | 363 mm | 371 mm | 380 mm | 389 mm | 398 mm | 407 mm |
Stack | 497 mm | 522 mm | 547 mm | 572 mm | 597 mm | 622 mm |
Das Cervélo R5 Force eTap AXS im ersten Test
Junge, was geht das hier vorwärts! In kaum einem Punkt war sich die Testcrew so einig wie in Sachen Beschleunigung und Geschwindigkeit. Der Fokus des Entwicklerteams auf eine hohen Steifigkeit zahlt sich aus, das R5-Rennrad beschleunigt aus jeder Situation heraus sehr bereitwillig. Egal ob im kleinen Gang bergauf oder mit der dicken Mühle vor dem Ortsschild: Das Bike wartet nur auf euer Kommando, um die nächste Attacke zu starten. In schnellen Passagen und auf der Ebene hält es dabei die Geschwindigkeit sehr effizient aufrecht und lässt sich schnell vorantreiben. Am Berg zeigt sich das R5 auch abseits des Kampfmodus als äußerst leichtfüßiger Kletterer, egal ob sitzend an der steilen Rampe oder tänzelnd im Wiegetritt. Selten ist es den Testfahrern so leicht gefallen, den Hausberg im Testrevier mit wechselnden Steigungsprozenten so leicht hochzufahren. An der Form kann es sicherlich nicht gelegen haben …
Auf dem Highway direkt in den Himmel – selten sind wir die Berge Südtirols mit solcher Effizienz und Geschwindigkeit hochgetreten wie auf dem neuen Cervélo R5!
Eins ist klar: Das R5 ist und bleibt eine Rennmaschine, die entweder mit Vollgas oder mit noch mehr Vollgas gefahren werden will. Bei langsamer Fahrt tendiert die Front in manchen Situationen dazu, etwas kippelig zu werden, ohne jedoch nervös zu wirken. Sobald man jedoch Geschwindigkeit aufgenommen hat und in den grünen Geschwindigkeitsbereich des R5 gelangt, wird es immer laufruhiger und spurstabiler und vermittelt dabei viel Sicherheit. Trotzdem lenkt es auch bei hoher Geschwindigkeit schnell ein und benötigt keine übermäßigen Lenkimpulse, wie es bei anderen Rennrädern der Fall sein kann. Sehr zur Freude der Testfahrer trifft es dabei jede noch so anspruchsvolle Kurve sehr präzise. Blitzschnelle Richtungswechsel bei voller Fahrt? Das Cervélo R5 ist euer Bike und lässt sich auf Abfahrten messerscharf durch die Scheitelpunkte von Kurven unterschiedlicher Radien hin- und herwerfen. Das Versprechen des Herstellers geht auf: Das Bike kann nicht nur bergauf eine gefürchtete Waffe sein, sondern die Konkurrenz auch bergab vor große Herausforderungen stellen.
Wer bei einer Rennmaschine dieser Kategorie erwartet, auf jeglichen Komfort verzichten zu müssen, wird überrascht sein. Natürlich sind bei einem Bike, dessen Ansprüche Podiumsplatzierungen, maximale Kraftübertragung und hohe Effizient sind, keine Wunder zu erwarten: Das R5 bleibt ein straffes Bike und ist längst nicht so komfortabel wie das Allround-Pendant aus Cervélos Portfolio, dem Caledonia-5 (zum Test). Dennoch können vor allem die 28 mm breit ausfallenden Vittoria Corsa TLR G2.0-Reifen in 700 x 25C eine solide Vibrationsdämpfung generieren und die Kombination aus Geometrie, langer Sattelstütze und ergonomischem Lenker nimmt sowohl an der Front als auch am Heck die übermäßige Härte aus dem Bike. Unsere 1,83 – 1,85 m großen Testfahrer saßen auf dem Bike in Rahmengröße 56 sportlich tief, aber keinesfalls überstreckt, und haben sich gut integriert ins Rad gefühlt. Vor allem der hauseigene HB13 Carbon-Lenker ist durch seine Ergonomie positiv herausgestochen und in jeder Griffposition intuitiv und komfortabel zu greifen. Sehr schön gemacht, Cervélo!
Unser Fazit zum neuen Cervélo R5 Force eTap AXS
Cervélo hat mit dem neuen R5 voll ins Schwarze getroffen und allen Profis und sportlich ambitionierten Fahrern eine absolute Rennmaschine zur Seite gestellt. Das Bike klettert trotz dem Gewicht von 7,44 kg in Größe 56 leichtfüßig jeden Berg empor, hält in jeder Situation effizient die Geschwindigkeit und generiert ausreichenden Komfort. Dabei ist das R5 nicht nur bergauf ein Joker, um den einen die Konkurrenz beneiden wird, sondern lässt sich auch bergab präzise und zuverlässig steuern.
Tops
- sehr leichtfüßiger Kletterer
- präzise im Downhill
- hohe Effizienz, ob in der Ebene oder im Uphill
- ergonomischer Lenker
- solide Vibrationsdämpfung
Flops
- mit 7,44 kg in Größe 56 kein Fliegengewicht
Mehr Informationen über das Cervélo R5 erhaltet ihr unter cervelo.com
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Text: Tobias Hörsch, Philipp Schwab Fotos: Benjamin Topf