Aluminium oder Carbon? Diese Frage werden sich viele von euch bereits gestellt haben. Im direkten Vergleich zwischen Canyon Endurace AL Disc 8.0 und Canyon Endurace CF SL 8.0 bringen wir Licht ins Dunkel. Welchen Mehrwert bietet die 800 € teurere Carbon-Variante und wo punktet der Alu-Hobel?

Canyon Endurace CF SL Disc 8.0 | Canyon Endurace AL SL Disc 8.0

Carbon gilt als Wundermaterial der Bikeindustrie. Jeder will ein möglichst leichtes Stück des schwarzen Goldes sein Eigen nennen, doch braucht man es tatsächlich? Anstatt einen Carbon- und einen Alurahmen in einem Messstand zu verwinden, haben wir dem Canyon Endurace AL Disc 8.0 und seinem Bruder, dem Canyon Endurace CF SL 8.0, auf den Straßen Gironas die Sporen gegeben, um herauszufinden, welches Bike das bessere Gesamtpaket liefert. Die Nutzung von Akronymen soll dabei helfen, die verschiedenen Endurace-Modelle zu unterscheiden: AL für Aluminium, CF für Carbon Fibre, SL für Super Light und SLX für Super Light Extra. Um die Vergleichbarkeit im Test zu gewährleisten, sind CF und AL identisch ausgestattet. Die einzigen Unterschiede: Carbon- bzw. Alurahmen, 2.599 € bzw. 1.799 €, Carbon- bzw. Aluminiumsattelstütze. Hier die Kontrahenten im Detail.

Die Bikes im Detail

Das Canyon Endurace CF SL Disc 8.0

Canyon Endurace CF SL Disc 8.0 | 7,6 kg | 2.599 €
Die neue Shimano Ultegra R8020 bremst hydraulisch und schaltet mechanisch
Das organisch geformte Tretlagergehäuse beherbergt die PressFit-Lager
Schönes Finish am Carbonrahmen des Canyon CF SL 8.0 – und das für faire 2.599 €
Die Sattelklemme verschwindet im Carbonrahmen und lässt das Endurace CF SL aufgeräumt wirken
Carbon und Setback: Die Canyon S15 VCLS-Sattelstütze bietet viel Komfort.
Aluminium-Lenker und -Vorbau bieten Flexibilität, jedoch keine Integration.
Tuning-Tipp: Canyon H11-Cockpit.

Das Canyon Endurace AL Disc 8.0 bringt satte 8,4 kg auf die Waage, wohingegen das 800 € teurere Canyon Endurace CF SL 8.0 gerade einmal 7,6 kg wiegt. Aufgrund des Carbonrahmens am CF wirken die Verbindungen der einzelnen Rohre organisch fließend, was in einem sehr hochwertigen Gesamteindruck resultiert. Mit der Integration der Züge und Sattelklemme wirkt das CF zudem aufgeräumter und ganzheitlicher. Weitere Besonderheiten sind die hochflexible Carbon-Sattelstütze Canyon S15, eine Semi-Compact-Kurbel und der Fi’zi:k Alicante R5-Sattel. Beim Alumodell hingegen kommen Canyons hauseigene S23 Alu-Stütze, eine Compact-Kurbel und ein Selle Italia X3-Sattel zum Einsatz. Die geraden Rohre, die großvolumigen Schweißnähte und die externe Klemmung der Sattelstütze geben dem AL einen klassischeren und weniger wertigen Look. In Sachen Geometrie weichen die Bikes marginal voneinander ab, sind jedoch gleichermaßen in sieben Größen von XXS bis XXL erhältlich. Einen detaillierten Vergleich der Spezifikationen findet ihr hier.

Das Canyon Endurace AL SL Disc 8.0

Canyon Endurace AL SL Disc 8.0 | 8,40 kg | 1.799 €
Wie beim Endurace CF SL kommt die neue Shimano Ultegra R8020 zum Einsatz
Am Endurace AL sind externe BSA-Lagerschalen anstelle der PressFit-Lösung verbaut
Die Leitungen sind auch beim AL intern verlegt
Kaum Versatz. Kein Carbon. Klassische Sattelklemme. In Sachen Sitzkomfort ist das AL ehrlich direkt und dämpft deutlich weniger.
Gleiche Front wie der Bruder: Vollcarbongabel mit Thru-Axle für Nachgiebigkeit und Torsionssteifigkeit.
Das Endurace AL versucht nicht, seinen Betrachter zu täuschen – ehrliche Schweißnähte statt Smooth Welding

Die Geometrien

Bike Canyon Endurace CF SL 8.0 Canyon Endurace AL Disc 8.0
Rahmengröße M M
Fahrergröße 178–184 cm 178–184 cm
Sitzrohrlänge 520 mm 532 mm
Oberrohrlänge 553 mm 556 mm
Steuerrohrlänge 158 mm 167 mm
Lenkwinkel 73° 73°
Sitzrohrwinkel 73,5° 73,5°
Kettenstrebenlänge 415 mm 415 mm
Radstand 990 mm 994 mm
Stack 578 mm 587 mm
Reach 382 mm 383 mm

Die Länge der Kettenstreben ist bei beiden Modellen mit 415 mm angenehm kompakt gehalten. Das Endurace AL weist etwas längere Steuer- und Oberrohre auf, womit die Sitzposition minimal aufrechter und komfortabler ausfällt. Das um 12 mm kürzere Sitzrohr am Endurace CF SL verlängert den Auszug der Sattelstütze, wodurch diese nochmals an Komfort-Federweg gewinnt. Gut oder schlecht?

Der Showdown

Genug des Vorgeplänkels – Radfahren findet weder an Waagen hängend noch im Zahlenlabyrinth der Excel-Sheets statt. Bereits auf den ersten Kilometern wird eines klar: Das Aluminiummodell sollte enduRACE und sein Carbonbruder ENDUrace getauft werden. Trotz nahezu identischer Spec und 800 g Mehrgewicht fühlt sich das AL deutlich spritziger an. Der geringere Flex im Rahmen gibt dem Fahrer in Kombination mit der steifen Aluminiumsattelstütze eine direktere Rückmeldung über die Beschaffenheit des Untergrunds und verbessert die Agilität und Präzision des Bikes.

  Im Uphill und im Sprint geht das feuerrote Canyon Endurace AL steif und kompromisslos nach vorn

Im Uphill schenken sich beide Modelle kaum etwas. Das CF ist zwar das leichtere Bike, doch ist das steifere AL aufgrund der höheren Effizienz ein ebenso guter Kletterer. Professor Weight-Weenie kann den theoretischen Performanceunterschied in seinem Labor klar quantifizieren, doch unter realen Bedingungen merkt man dem AL seine 800 g Mehrgewicht keineswegs an. Egal ob im kraftvollen Wiegetritt oder im hochfrequenten Klettermodus – das Aluminiummodell liegt auf Augenhöhe mit seinem Carbon-Pendant.

Im Downhill möchte das AL aufgrund des knapp einen Zentimeter höheren Steuerrohrs geführt werden und verschreibt sich dann bei präziser Fahrweise klar der gewählten Linie. Die großvolumigen Continental GP 4000 II in 28C fallen mit einer realen Breite von 30 mm größer aus und generieren sowohl guten Grip als auch gute Traktion. Dank des steifen und effizienten Rahmens wirkt das Rad stets agil und reaktionsfreudig. Da sich beide Bikes das gleiche Cockpit und die gleiche Gabel teilen, besteht der einzige Unterschied an der Front im Material des Steuerrohrs – der Flex der Front ist dementsprechend vergleichbar.

Bikewechsel! Nimmt man auf dem Endurace CF SL Platz, fühlt man sich sofort sicher und komfortabel aufgehoben. Durch das Finish und den wertigen Look des Rades fragt man sich, ob sich da nicht jemand mit dem Preisschild vertan hat. Im Gegensatz zum AL verbleiben die Züge beim CF länger im Rahmen. Auch Features wie die integrierte Sattelstützklemmung machen klar: Design und Formsprache sind beim CF auf einem höheren Level. Geht man während des Anstiegs aus dem Sattel, macht sich der weichere Tretlagerbereich bemerkbar. Das CF SL beschleunigt träger als das AL-Modell aus Spitzkehren heraus und kann seinen Gewichtsvorteil deshalb nicht ausspielen.

Der Systemflex des CF SL ist höher, was das Rad deutlich komfortabler und gutmütiger macht. Lenkbefehle werden von der Front, wie beim AL auch, direkt wahrgenommen. Der höhere torsionale Flex lässt das Heck des Rades jedoch zeitverzögert folgen. Dieses deutliche Plus an Komfort reduziert die Reaktionsfreudigkeit und lässt das Bike souverän-entspannt dahingleiten.

  Eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein: bergab im Deathgrip und Carving-Modus auf dem CF SL.

Im kurvigen Downhill wird der Steifigkeitsunterschied zum AL deutlich: In hängenden Kurven muss nachgesteuert werden, was die Berechenbarkeit des CF SL verringert. Mit seiner gemütlich-gutmütigen Art lädt das Bike eher zum Cruisen als zum Racen ein.

Für wen ist welches Bike?

Das Canyon Endurace AL Disc 8.0 bietet eine sehr große Bandbreite an möglichen Verwendungszwecken. Das Bike ist besonders interessant für zwei Zielgruppen: Für Einsteiger, die ein ehrliches Bike mit viel Potenzial zum fairen Preis suchen, das Rad hauptsächlich auf Touren mit den Dudes fahren wollen und trotzdem etwas brauchen, das ausreichend Performance für erste Gran-Fondo-Rennen bietet. Und für erfahrene Meilenfresser, die für das Festive500 in Eis und Schnee eine entspanntere Sitzposition und ausreichend Baufreiheit für Fender und breitere Reifen benötigen. #winterbike

Beim Canyon Endurace CF SL 8.0 zeigt sich, dass die Koblenzer Bikeschmiede bereits über viele Jahre ihre Hausaufgaben im Carbonbereich gemacht hat. Die günstige SL-Carbon-Variante spricht preis- und leistungsorientierte Fahrer mit ästhetischem Anspruch an. Integration und Optik übertreffen die Aluminium-Variante; wer ein wirklich komfortables Bike sucht, erhält beim Canyon Endurace CF SL 8.0 die maximale Portion an Souveränität für lange Tage im Sattel.

Fazit

Das Canyon Endurace AL Disc 8.0 ist eine große Überraschung und gewinnt den Zweikampf gegen seinen teureren Carbon-SL-Bruder. Man bekommt nicht nur unglaublich viel Bike für sein Geld, sondern auch einen sehr vielseitigen Begleiter. Seine spritzige Performance und die Robustheit des Aluminiums sind ein eindeutiges Zeichen für langfristigen Fahrspaß. Wer das richtige Bike für den Commute zur Arbeit und das Sportive am Wochenende sucht, findet hier ein tolles Konzept zum sehr fairen Kurs. Und wenn die Weightweenies mit einer Trinkflasche weniger fahren, dann sind CF und AL auch auf Augenhöhe.

Das Endurace CF SL 8.0 ist ein formschönes Komfort-Bike, das vor allem auf langen Touren seine Stärken ausspielt. Im direkten Vergleich jedoch wird das Bike dem um 800 € höheren Preis nicht gerecht. Carbon-Fans sollten stattdessen keine Kompromisse eingehen und auf das Topmodell CF SLX setzen, das die optimale Balance aus Komfort und Performance bietet – wie auch der Kauftipp in unserem Endurance-Bikevergleichstest zeigt. Carbon ist nicht gleich Carbon!


Mehr Infos unter: canyon.com

Dieser Artikel ist aus GRAN FONDO Ausgabe #008

Das GRAN FONDO Cycling Magazin erscheint auf Deutsch und Englisch im digitalen App-Format. Ladet euch jetzt die App für iOS oder Android und lest alle Artikel auf eurem Tablet oder Smartphone. Kostenlos!


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als GRAN FONDO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die New-Road-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!

Text: Fotos: Noah Haxel