Die Gerüchteküche hat in den letzten Wochen besonders heiß gekocht. Immer wieder konnten wir auf Social Media Bilder von einem aufgemotzten Canyon Grail sehen, das zumindest von vorn nicht mehr viel mit dem bisherigen Race-Gravel-Bike der Koblenzer gemein hatte. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand dabei eine bis dato noch nicht bekannte Federgabel – versehen mit einem mysteriösen „Canyon Engineered by DT Swiss“-Schriftzug und einer eher extravaganten, sportlichen Optik. Einfach nur eine neue Gabel? Ein neues Gravel-Race-Konzept oder gleich ein komplett neues Bike?
Was genau hinter dieser deutsch-schweizerischen Kooperation steckt und wie die Gabel samt Canyon Grail im Race-Einsatz performt, haben wir für euch herausgefunden – und zwar nicht irgendwo, sondern dort, wo sich Race-Gravel-Bikes besonders wohlfühlen: in Girona, bei The Traka 100.



Was ist wirklich neu? – Das Canyon Grail CFR Rift im Detail
Die Spannung war groß, die Erwartungen hoch. Bringt Canyon wirklich nicht mal zwei Jahre nach dem Release des aktuellen Race-Gravel-Bikes ein komplett neues auf den Markt? Die kurze Antwort: nein.
Unsere Vermutungen über einen neuen Rahmen mit deutlich erhöhter Reifenfreiheit am Heck wurden – leider – nicht bestätigt. Das Grail CFR Rift teilt sich exakt den gleichen Rahmen wie die übrigen aktuellen Grail-Modelle – und muss somit weiterhin mit 42 mm Reifenfreiheit am Hinterrad auskommen.
Das beschränkt zwar die Reifenwahl, begrenzt das Einsatzspektrum des Grail jedoch nur marginal. Rahmen und Sattelstütze bieten nach wie vor ein hohes Maß an Komfort, das selbst auf langen und ruppigen Etappen überzeugt. Lediglich bei klebrigem Matsch kann der knapp bemessene Platz rund um den Hinterreifen zum Problem werden – mit dem Risiko, dass sich der Hinterbau zusetzt und ein unfreiwilliger Boxenstopp am Streckenrand nötig wird. Bis hierhin also nichts Neues.
Das Canyon Grail CFR Rift entspricht bis auf die Federgabel exakt der Ausstattung des aktuellen Grail CFR Di2: Ausgestattet mit der neuen Shimano GRX 825 Di2 2×12-Schaltgruppe, 50 mm tiefen DT Swiss GRC1100-Laufrädern und dem bewährten Canyon CP0047 Pro Cockpit bleibt die Ausstattung gewohnt hochwertig – nur eben mit einem deutlich sichtbaren Novum an der Front, einem höheren Gesamtgewicht und einem höheren Preis.


Da wir ein Canyon Grail CFR bereits zum Release 2023 ausführlich getestet haben, beschränken wir uns in diesem Testbericht auf die Eigenschaften und Performance der neuen Federgabel. Wer einen ausführlichen Fahreindruck zum Canyon Grail CFR sucht, wird hier fündig.
Ein Blick unter die Haube – Die DT Swiss F 132 ONE im Detail
Was steckt also hinter der neuen Federgabel im Gravel-Kosmos? Wer hat sie entwickelt – und gibt es sie wirklich nur am Canyon Grail CFR?
Mit DT Swiss hat sich Canyon echte Fahrwerkskompetenz ins Haus geholt. Die Schweizer sind im Mountainbike-Bereich längst bekannt für präzise und zuverlässige Federelemente. Mit der neuen F 132 ONE Luftfedergabel betreten sie nun gezielt Neuland – und das ausschließlich für Canyon Drop-Bar-Bikes. Zumindest vorerst: Bis Ende 2025 wird es die Gabel exklusiv an Canyon-Modellen geben. Ab 2026 soll sie dann auch bei weiteren Bike-Brands erhältlich sein.

Woran haben die Schweizer Ingenieure also die letzten vier Jahre getüftelt? Laut DT Swiss haben sie bei null begonnen – und eine Gabel rund um die spezifischen Anforderungen moderner Gravel-Bikes konstruiert. Ein Highlight ist der vollständig blockierbare Lock-Out, der Wippen oder ein schwammiges Lenkverhalten zuverlässig verhindern soll – besonders praktisch auf glatten Anstiegen oder im Wiegetritt. Gleichzeitig bietet die Gabel clevere Optionen für Bikepacking-Fans: Zwei abnehmbare Mount-Platten ermöglichen die Montage von Taschen oder Flaschenhaltern mit bis zu drei Kilogramm Zuladung je Seite – ein Novum im Gravel-Bereich.


Die lineare Luftfederung mit 40 mm Federweg besitzt eine positive und negative Luftkammer und soll besonders feinfühlig auf Vibrationen und kleinere Schläge ansprechen – gemacht für hohes Tempo auf holprigen Schotterpisten. Das Gesamtgewicht liegt bei rund 1.350 Gramm, was etwa 600 Gramm mehr ist als die klassische Carbon-Gabel an den restlichen Canyon-Grail-Modellen. Mit 50 mm Reifenfreiheit übertrifft sie die Carbon-Gabel allerdings um 3 mm.


Auch beim Design hat DT Swiss Wert auf eine aufgeräumte Optik gelegt. Der Zug für den Remote-Lock-Out verläuft komplett intern, während die Bremsleitung semi-integriert geführt wird – das sorgt für ein klares Cockpit ohne Kabelsalat. Die Gabelbrücke liegt dezent hinter der Gabelkrone, was die Front noch schlanker wirken lässt und dem Gesamtbild eine gewisse technische Eleganz verleiht. Hinzu kommen formschlüssige, verschraubte Abdeckkappen, die sich harmonisch in die Silhouette der Gabelkrone einfügen, sowie schlank zulaufende Gabelenden, die nicht nur optisch filigran wirken, sondern wohl auch den ein oder anderen Aero-Vorteil mitbringen.



Eine weitere Besonderheit ist der Lock-Out-Mechanismus, der nicht wie üblich über zwei Positionen verfügt, sondern mit der gleichen Hebelbewegung durchgeschaltet werden kann. Das ermöglicht ein komplett neues Hebel-Design, das bis dato eher von Dropper-Remotes bekannt war.


Das Canyon Grail CFR Rift im Test bei The Traka 100

Drei, zwei, eins, go! Wir rollen los, der Himmel ist grau und es nieselt.
Ein seltener Anblick im sonst sonnenverwöhnten Girona, allerdings wird es uns heute noch schlimmer erwischen, als wir es in diesem Moment erwartet hatten. Die ersten Kilometer laufen flach über Asphalt, der Lock-Out kommt zum ersten Mal zum Einsatz und überzeugt. Kein Wippen, kein Wackeln, kein schwammiges Lenkgefühl – und auch als wir im ersten steilen Anstieg zum ersten Mal aus dem Sattel gehen, hält der Lock-Out, was er verspricht. Die Bedienung der Remote gestaltet sich intuitiv und läuft ohne Eingewöhnung zuverlässig.


Positiv unauffällig ist die DT Swiss Remote in den Drops. Und das ist keine Selbstverständlichkeit. Bis jetzt haben quasi alle uns bekannten Remotes in der Position Probleme mit sich gebracht: Mal bohrt sich der Hebel unangenehm in die Hand, mal ist er in den entscheidenden Momenten nicht richtig zu erreichen oder blockiert den Griff zum Bremshebel. Hier hat DT Swiss einiges richtig gemacht. Durch das ergonomische Design ohne scharfe Kanten konnten wir über die komplette Renndistanz keine negativen Effekte auf mögliche Griffpositionen feststellen – good job!


Einziger Kritikpunkt: Da die Remote keine verschiedenen Positionen hat und es auch sonst keine Anzeige für den Zustand des Lock-Outs gibt, kam es im Eifer des Rennens immer wieder vor, dass man die Gabel kurz antesten musste, um herauszufinden, ob man gerade wirklich im gewünschten Zustand unterwegs ist. Auf weniger anstrengenden Ausfahrten kann man sich das vermutlich etwas besser merken …
Der Rennverlauf bleibt regnerisch und führt über rutschige Abfahrten, Flussdurchquerungen und das ein oder andere Steinfeld. Die von Haus aus montierten Schwalbe G-One RS Pro in 40 mm Breite kommen in diesen Verhältnissen an ihr Grip-Limit und erfordern etwas Mut und fahrerisches Geschick, um in der Abfahrt den Anschluss an die – allesamt griffiger bereifte – Gruppe nicht zu verlieren. Die Federgabel hilft hier dennoch enorm, da man von plötzlichen Schlägen nicht aus der Bahn geworfen wird und der Vorderreifen quasi immer Bodenkontakt hält.
In den flachen Passagen und Asphalt-Abfahrten zeigt das Canyon Grail CFR Rift jedoch, wogegen man den nicht wirklich vorhandenen Grip eingetauscht hat: Effizienz. Das Bike rollt hier so bereitwillig, dass man versucht ist, den Sprung zur nächsten Gruppe zu wagen.

100 km, 2 Platten, 6 Gels und ein ordentliches Gewitter später rollen wir nass und schmutzig Richtung Ziellinie. Die Zähne knirschen, die Beine sind nicht mehr frisch, aber Hände, Nacken, Rücken und Oberarme fühlen sich immer noch auffällig gut an. Die DT Swiss F 132 ONE, der Rahmen und die Sattelstütze haben ganze Arbeit geleistet und trotz der eher schmalen Reifen konnte das Canyon Grail CFR Rift in Sachen Komfort, Handling, Effizienz und Kontrolle durchweg überzeugen. Die Mischung aus hohem Komfort, hoher Kontrolle bei gleichzeitig sehr guter Effizienz macht das Grail CFR Rift zu einem besonders vielseitigen Gravel-Racer, mit dem man sich auch abseits des Race-Tracks wohlfühlt.


Für wen ist das Canyon Grail CFR Rift?
Das Canyon Grail CFR Rift ist gemacht für schnelle Komfort-Fetischisten, die ein Do-it-all-Race-Bike suchen, das von kurzen, knackigen Rennen bis zu tagelangen Ultra-Distanzen alles mitmacht und sich auch für einen Backpacking-Trip nicht zu sportlich anfühlt. Durch die DT Swiss F 132 ONE und die hohe Compliance aus Rahmen und Sattelstütze ist es eines der komfortabelsten Race-Gravel-Bikes, das es gleichzeitig schafft, durch den Komfort nicht träge zu wirken. Im Stock-Setup ist es vor allem für trockene Tage geeignet, für matschige Rennen empfehlen wir ein paar griffigere Pneus und einen Mudguard an der Gabel.
Fazit
Mit dem Grail CFR Rift bringt Canyon kein neues Bike, aber eine echte Innovation an die Front: Die DT Swiss F 132 ONE ist eine der ersten Gravel-Federgabeln mit echtem Race-Fokus. Sie überzeugt mit einem effektiven Lock-Out, einer sehr guten Dämpfung, viel Komfort und einer sportlichen Optik. Das Grail CFR Rift macht das Canyon Gravel-Race-Portfolio noch vielseitiger und ist gerade auf ruppigen Strecken das Bike der Wahl.

Tops
- effektiver Lock-Out
- hoher Komfort bei gleichzeitig hoher Effizienz
- schnelle Optik

Flops
- keine Gewichtsrevolution
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Text: Jan Richter Fotos: Jan Richter, Canyon, The Traka