Kaum ein Gravelbike hat seit seinem Launch für so viel Gesprächsstoff gesorgt. Genauer gesagt: kaum ein Lenker. Aber das Canyon Grail CF SLX Di2 hat doch noch mehr zu bieten als einen Star-Trek-ähnlichen Lenker, oder?

Canyon Grail CF SLX | 8,2 kg (Gr. L) | 4.499 €

Das Canyon Grail CF SLX im Detail

Durch die Untiefen der hiesigen Rennradforen ging ein Raunen, als die ersten Bilder des Grail umhergeisterten: „Das muss doch ein Aprilscherz sein, oder?!“ Nein, ist es nicht. Für 4.499 € bekommt man Canyons 8,2 kg schwere Interpretation eines modernen Gravelracers aus Carbon – wobei das Bike eher ein Grand Tourer als ein Racer ist. Das umstrittene Herzstück des Grails ist, neben dem Rahmenset, der 430 mm auf 475 mm breite Doppeldecker-Lenker. Er setzt sich aus einem flexiblen Oberlenker, einer steifen Vorbau-/Mittellenker-Kombination und den Drops zusammen. Der obere Lenker soll mit seiner Flex-Area in der Mitte für die Dämpfung sorgen, während die Vorbau-/Lenkerkombination die Kraft des Oberkörpers auf die Straße bringt. Durch die Doppeldecker-Bauweise treffen sich der obere und mittlere Lenker genau unter den Schalthebeln. Dadurch hat man eine ungewöhnliche Ablagefläche für die Daumen, wenn man in den Drops fährt.

Dieser Lenker sieht auch auf dem zweiten und dritten Blick noch außerirdisch aus, aber er macht, wofür er entwickelt wurde: Er sorgt für Komfort auf dem Oberlenker.
“Scotty, um alles in der Welt, bringen Sie uns hier raus.”
Bei so vielen innovativen Integrationslösungen hätten wir uns auch im Cockpit weniger Kabelsalat gewünscht

Der Rahmen hat einen aggressiven, aber formschönen Slope, der bündig in die Vorbau-/Lenkerkombination übergeht. Das CF SLX 8.0 DI2 ist, wie es der Name schon sagt, mit der zuverlässigen und präzisen Shimano ULTEGRA Di2 bestückt. Die Schalt-/Bremshebel der Shimano ULTEGRA R8070 Disc-Gruppe haben in der neusten Generation ein sehr schönes Upgrade in Sachen Ergonomie bekommen und greifen sich wunderbar. Die ULTEGRA-Kettenblätter mit 50/34 Zähnen treffen auf eine Kassette mit 11–34 Zähnen.

Die Shimano ULTEGRA Di2 verrichtet ihren Dienst präzise und zuverlässig
Damit der Warpkern seine Arbeit zuverlässig verrichten kann, sichern Reynolds Steckachsen die Assault ATR Disc Carbon-Laufräder.

Das gibt genug Spielraum für steile Anstiege wie auch steile Abfahrten. Was uns außerdem gleich positiv im Test aufgefallen ist: Die 2-fach-Schaltung hat zwar etwa die gleiche Bandbreite wie die 1-fach-Schaltung, jedoch sind die Sprünge zwischen den Gängen deutlich kleiner. Kadenz ist König! Die Canyon S15 VCLS 2.0 CF-Sattelstütze ist mit einer Blattfederung ausgestattet, die dem Heck enorm viel Komfort schafft. Der Vortrieb wird über recht steife Reynolds Assault ATR Disc Carbon-Laufräder und 40C Schwalbe G-One Bite-Reifen auf die Schotterstraßen gebracht.

Erster Fahreindruck

Wir waren erst unsicher, was wir von dem Konzept halten sollten: „Was bist du denn jetzt? Wo gehörst du hin?“ Um das Grail CF SLX nicht voreilig in eine Schublade zu stecken, fuhren wir erst mal los und ließen uns seine Story von ihm selbst auf der Straße erzählen. Das Canyon war gleich zu Beginn im Antritt sehr flink und konnte diese Geschwindigkeit auch gut halten, wenn es sie erst mal erreicht hatte. Allerdings stellte sich auch schnell die Erkenntnis ein: Dem Grail CF SLX mangelt es etwas an Temperament und Lebendigkeit. Es setzt jede Kurbelumdrehung gut und konsequent auf der Straße um, alles ist vorhersehbar und zuverlässig – das Bike wirkt jedoch etwas zu glatt und geradlinig.

Tuning-Tipps:
für ultimativen Racer-Fit Canyons H36-Aerocockpit montieren
Kabel sauber verlegen

Als wir von der Waldautobahn in den Trail abbogen, wurden wir überrascht. An das Umgreifen von den Tops in die Drops gewöhnt man sich trotz der ungewohnten Konstruktion sehr schnell – an die enorme Wucht, mit der die Schläge des Untergrunds an den Fahrer weitergereicht werden, nicht. Damit steht der Lenker in den Drops in starkem Kontrast zum enormen Komfort am Heck: „Business in the front, Party in the back.“ An der Stelle, an der sich die beiden Ebenen des Lenkers treffen, ist eine ganze Menge Material verbaut, zum einen für Sicherheit, zum anderen für Stabilität. Jedoch flext so viel Material auf einem Punkt nicht besonders gut, und somit werden alle Schläge des Trails ungefiltert an den Fahrer über die Drops weitergeleitet. Was am Anfang noch ein Gefühl von Verbindung mit dem Trail vermittelt, verwandelt sich schnell in einen Todesgriff, um den Lenker nicht versehentlich loszulassen oder abzurutschen. Auf dem Oberlenker allerdings ist die Luft besser. Die Flex-Zone in der Mitte des Lenkers arbeitet gut und schafft, was sie verspricht: Compliance und Komfort für leichte Unebenheiten auf Gravelroads.

Der Lenker eignet sich auch wunderbar für Lenkertaschen, vorausgesetzt, man kümmert sich um den Di2-Kabelsalat, der zwischen den Ebenen des Lenkers wütet. Hier hätten wir uns eine schönere Lösung gewünscht, gerade weil die Koblenzer schon so viel Integration schaffen und Aufwand mit dem Lenker betreiben. Das Team von Canyon bietet auch die passenden Taschen für das Grail an und zeigt dadurch, wohin es mit dem Bike will: auf lange Touren abseits der Straße mit mittelschweren Gelände-Passagen zwischendurch. In diesem Sinne ist das Grail eine gelungene Kombination aus Rallyewagen und Gran Turismo-Coupé. Was diesen GT-Eindruck noch unterstreicht, ist das Handling: gutmütig, geradlinig und etwas träge in Kurven, dafür fährt man auf dem Canyon aber auch lange Strecken mit einem Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. Die Schwalbe G-One Bite-Reifen verstärken diesen Eindruck noch, denn sie haben auf dem Trail mehr Grip, als wir erwartet hätten, und schaffen selbst bei Offroad-Rookies ein Gefühl von Kontrolle, wenn die Strecke mal haariger wird.

Fazit

Das Canyon Grail ist ein Rad für alle, die Performance für lange Gravel-Rides suchen und ein Faible für polarisierende Designansätze haben. Das Bike kann mehr als nur gut aussehen und ein top Preis-Leistungs-Verhältnis bieten: Dank des gutmütigen und vorhersehbaren Handlings ist das Grail CF SLX 8.0 Di2 ideal für Offroad-Rookies, kann aber auch Trail-erfahrenen Roadies begeistern.

Stärken
  • Integration des Cockpits (sorgt überall für Aufmerksamkeit)
Schwächen
  • Zugverlegung am Cockpit

Preis: : 4.499 €
Gewicht: 8,2 kg in Größe L
Info: canyon.com


Hier findet ihr den aktuellen Test des besten Gravel-Bikes


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Text: Fotos: David Rösler, Valentin Rühl