Schnell über den Deich, flink bergauf oder von allem ein bisschen, aber nichts so richtig. Race-Bike-Kategorien stellen einen vor die Qual der Wahl. Aber was ist das passende Bike für mich? Wir erklären die Unterschiede und diskutieren, wohin sich die Industrie entwickelt. Aero, Climbing oder doch alles Allrounder?

Kinn küsst Vorbau. Unterarme parallel zur Straße. Pedal hinten jetzt mal richtig durchziehen. Karre ist auf Tempo, Hamstrings schreien mit. Hinter dir: bisschen Panik, Einerreihe. Und das Beste: Für den Speed fühlt sich das alles gar nicht so hart an, eher wie Hovercraft-Fahren – richtig nice! Das könntest du noch eine Weile so durchziehen, bis die da hinten einer nach dem anderen platzen.

Und dann leuchtet auf deinem Headunit der nächste Abbiegehinweis auf. Du weißt, was das heißt. Kette nach links, das Kinn geht hoch und mit ihm auch die Straße. Auf einmal fühlt sich das alles nicht mehr so leicht an, du rutscht auf dem Sattel nach vorne, um Gewicht übers Tretlager zu bekommen, aber so richtig will die Karre nicht beschleunigen. Selbst im Stehen geht nicht wirklich was. Wie schön wäre jetzt ein Kilo weniger unter dir. Leichtere Laufräder, die direkt nach vorne gehen. Kurze Kettenstreben, ein steilerer Sitzwinkel. Du würdest diese Rampe hochtänzeln wie ein junger Gott. Aber du sitzt auf einem Aero-, nicht auf einem Kletter-Bike, und so fühlt sich das auch an.

Natürlich lässt sich diese Episode auch genau andersherum erzählen. Kennt jeder, der schon mal mit einem auf Leichtbau getrimmten Kletterspezialisten einem Feld hinterhergejagt ist. Genau, macht’s nicht einfacher. Dafür freut man sich eben über bissige Beschleunigung und Reaktivität bergauf. Oder anders gesagt: Jeder Rennradtyp ist darauf ausgelegt, in einem bestimmten Bereich seine Stärken auszuspielen, je nach Streckenprofil und -bedingungen.

Kletterspezialist, Aero-Bomber oder Alleskönner? Was ist das Beste für mich?

Klar ist, die wenigsten von uns fahren das ganze Jahr auf einem Deich herum oder bestreiten ausschließlich Bergzeitfahren. Was ist also die richtige Wahl für einen Amateursportler wie mich, der vor der Haustüre ein hügeliges Trainingsrevier beackert und seine Saisonhighlights gerne bei Langstreckenrennen mit vielen Höhenmetern sucht?

Brauche ich wirklich Aero und Climbing-Bike? Nicht nur, um die letzten Sekunden im Rennen rauszuholen, sondern auch für den alltäglichen Fahrspaß und das elementare Gefühl, jederzeit auf dem richtigen Rad zu sitzen? Oder sind sowohl Aero- als auch Climbing-Bikes überkommene Konzepte und die Zukunft gehört dem „Do-It-All“-Bike, auf das mittlerweile viele große Hersteller im Race-Bike-Segment setzen?

Ja, natürlich sind das nerdige Nischenprobleme und grundsätzlich kommt man mit so ziemlich jedem modernen Dropbar-Bike sehr gut von A nach B. Aber hier soll es explizit um performancebezogene Kriterien von Race-Bikes gehen, nicht um ein Idealverhältnis aus Effizienz und Komfort.

Die Idee, für jeden Einsatzzweck genau das passende Bike zu haben, klingt enorm reizvoll, und für mich erstmal besser als ein Rad, das alles ein bisschen kann, in der entscheidenden Situation aber nicht ideal performt. Gleichzeitig frage ich mich, wie viel Unterschied diese Spezialisierung für einen Amateur wirklich ausmacht und wo genau die Unterschiede liegen.

Drei Race-Bike-Konzepte im Vergleich: Das Portfolio von Cervélo

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, lohnt der Blick auf die Modelle eines Herstellers, der anders als Branchengrößen wie Specialized oder Trek an der Spezialisierung in seinem Race-Bike-Portfolio festhält und darüber hinaus auch noch einen Allrounder im Programm hat: Cervélo.

CERVELO S5

Nehmen wir als Erstes das S5, eine Aero-Bike-Ikone, Hauptarbeitsgerät von Wout van Art. Das Stack-to-Reach-Verhältnis spricht für eine aggressive Position und das Gewicht liegt mit 7,9 Kilogramm in Größe 56 mit verbauter High End-Schaltgruppe ein gutes Kilogramm über dem UCI Gewichtslimit, während die Formensprache voll ans Aero-Limit geht. Selbst ein ungeschultes Auge glaubt sofort, dass dieses Race-Bike nun schon seit Jahren eines der schnellsten auf dem Markt ist.

CERVELO R5

Das R5, Cervélos Kletter-Bike, ist dem ein oder anderen in den letzten Jahren begegnet, als ein junger und sehr leichter Däne zwei Mal in Folge die Tour de France gewann und auf den entscheidenden Bergetappen auf diesem Rad saß. Im Vergleich zum S5 bringt einen der Rahmen in eine etwas aufrechtere Position. Der Unterschied ist allerdings eher marginal. Im Vergleich zum S5 spart die Top-Ausstattung des R5 etwa 800 Gramm Gewicht ein. Wobei nur etwa 300 Gramm auf den Rahmen entfallen, der Rest auf Gabel, Komponenten und Laufräder. Man sollte annehmen, dass neben weniger Gewicht weitere kletterspezifische Unterschiede in der Rahmengeometrie zu finden sind, aber dem ist nicht wirklich so. Das S5 hat sogar die kürzeren Kettenstreben. Ein Merkmal, das man oft bei Climbing-Bikes findet und für diese schöne Direktheit beim Fahren im Stehen verantwortlich ist. Eindeutig erkennbar ist hingegen der Verzicht auf Aero-Performance zugunsten des geringeren Gewichts.

CERVELO SOLOIST

Und dann ist da noch das Soloist, der Allrounder im Aufgebot von Cervélo. Leichter als das S5 und aerodynamischer als das R5, sitzt also irgendwo in der Mitte, weist aber ebenfalls eine nahezu identische Rahmengeometrie wie die beiden anderen Bikes auf und ist nicht mit Top-Ausstattung zu haben. Man könnte fast meinen, Cérvelo drosselt das Soloist, um S5 und R5 für den Race Einsatz keine Konkurrenz zu machen. So jedenfalls kommt der Allrounder als enorm solides Bike für Training oder das lokale Crit Race daher.

Schaut man sich das Portfolio also genauer an, fällt auf, dass die Hauptunterschiede zwischen den Bikes vor allem in der aerodynamischen Optimierung und der Ausstattung liegen, die ebenfalls für die größten Gewichtsunterschiede verantwortlich ist. Die Geometrie und demnach auch die Fahreigenschaften sind bei den Bikes weitestgehend identisch. Schließlich auch sinnvoll, wenn bei Spezialisierung der Einsatzzwecke ein regelmäßiger Wechsel zwischen den Bikes vorgesehen ist. Gerade bei Profis. Größere Umgewöhnungsphasen sollen vermieden werden und der Fit eines Fahrers muss mühelos auf das jeweilige Bike übertragbar sein. Zugleich führt diese Annäherung auch zu einer Auflösung der Grenzen zwischen den Kategorien.

Die Auflösung der Kategorien oder kippt das Gewichtslimit?

So ist nicht verwunderlich, dass die Hersteller eine neue Kategorie geschaffen haben. Das Allround-Race-Bike. Alleskönner für jedes Streckenprofil. Aero-Bikes werden immer leichter und Climbing-Bikes aerodynamisch optimierter, sodass Unterschiede in Performance und Fahreigenschaften vielfach von der Wahl der Laufräder abhängen.

Will ich für ein bergiges Rennen Gewicht einsparen und nah ans 6,8-kg-Limit kommen, montiere ich flache Laufräder. Will ich mehr Aero-Performance auf einem Kurs, der weniger oder flache Steigungen aufweist, montiere ich die hohen Laufräder – immer auf derselben Plattform.

Ein Game Changer für diese Entwicklung könnte eine Anpassung des UCI Gewichtslimits sein. Ursprünglich vor allem als Sicherheitsstandard eingeführt, um notwendige Robustheit zu garantieren und Hersteller von immer weiteren Materialeinsparungen abzuhalten, hat die Weiterentwicklung von Fertigungstechniken und Carbonfasern die Existenz der Regel weithin obsolet gemacht. Sollte man sich in der Schweiz dazu entscheiden, die Grenze von 6,8 Kilogramm signifikant herabzusetzen, könnten ultraleichte Climbing-Bikes eine ganz neue Bedeutung für Profis und damit für die Industrie erlangen. Technisch möglich sollte jedenfalls einiges sein, ohne auf notwendige Sicherheit verzichten zu müssen, auch in Zeiten von Disc Brakes und elektrischen Schaltungen. Das Aethos von Specialized hat es schon vorgemacht.

Aber solange sich voll aerodynamisch optimierte Bikes um die 7 Kilogramm aufbauen lassen, wird die Entwicklung zum „Do-It-All“-Bike weiter voranschreiten. Aus einem einfachen Grund: Es ist die schnellste Option für die meisten Streckenprofile, und da, wo ein spezialisiertes Bike noch einen Vorteil hat, ist dieser auf einzelne Segmente begrenzt und dabei so minimal, dass er sich kaum auszahlt.

Am Ende ist man wieder am Anfang. Die Wahl des richtigen Bikes hängt stark von individuellen Bedürfnissen und Vorlieben ab. Und von den Profilen, auf denen das Bike performen soll. Außerdem, natürlich vom verfügbaren Budget.

Ich persönlich mag das direkte und verspielte Verhalten eines leichten Bikes an steilen Anstiegen. Außerdem bin ich als leichter Fahrer, wenn überhaupt, nur bergauf in der Lage, entscheidende Situationen herbeizuführen, und ansonsten gut beraten, meine Nase so gut es geht aus dem Wind zu halten. Zugleich habe ich aber auch keine Watt zu verschenken, wenn es darum geht, Lücken zu schließen oderl mein Glück als Ausreißer zu versuchen. Auch um den Geldbeutel etwas zu schonen, scheint mir daher am sinnvollsten, auf einen leichten und aerodynamischen Rahmen zu setzen, wie sie mittlerweile von verschiedenen Herstellern angeboten werden, und das Bike mit diversen Tuning-Maßnahmen und Laufradoptionen für spezifische Einsätze auszurüsten. Jedenfalls so lange, bis das 6-Kilo-Superbike auf den Markt kommt.

Mehr informationen unter cervelo.com.


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Text: Dorian Steinhoff Fotos: Jan Richter