Wir waren auf Europas härtestem Pflaster, um im ultimativen Härtetest herauszufinden, welches Rennrad das beste Bike für lange Tage im Sattel und spaßige Rides unter jeglichen Bedingungen ist. Dazu haben wir die 10 spannendsten Endurance- und Gravelbikes auf den legendären Strecken der Frühjahrsklassiker getestet.

Wenn der Anstieg mehr Prozent hat als die stärksten belgischen Biere, dein Hintern die Schneise von Arenberg zum hundertsten Mal verflucht, der Seitenwind dich fast vom Rad weht und deine aufgequollene Haut impliziert, dass du eher tauchen als Rad fahren warst – ja, genau dann weißt du, dass Rennradfahren kein Kindergarten, sondern Kampf ist. Ein harter Kampf gegen die Elemente und ein noch härterer Kampf gegen dich selbst.

Zwischen Paterberg und Paris-Roubaix gibt es kein Erbarmen…
…Wer das belgische Frühjahr übersteht, ist bereit für jedes Abenteuer der Saison.

Du willst diesen Kampf gewinnen? Dann musst du dich quälen und durchbeißen können. Aber damit nicht genug. Ein jeder Kampf beginnt mit der richtigen Vorbereitung: Technik verstehen, das richtige Bike und Equipment wählen.
Nicht jeder fährt auf perfekt geteerten Straßen mit Südtiroler Alpenpanorama, hat 300 Sonnentage Tanline-Wetter pro Jahr und die Côte d’Azur vor der Nase oder etwa so viel Bums wie Tom Boonen in den Beinen. Rennrad ist erst mal Schweiß, Anstrengung und Leiden; ja manchmal ist es richtig zum Kotzen. Oft ist es aber auch Freude, Spaß und Action – zumindest mit dem richtigen Equipment oder spätestens dann, wenn der Puls wieder im zweistelligen Bereich angekommen ist.

Aus diesem Grund sind wir trotz Wind und Wetter zu Europas härtestem Pflaster gepilgert, um dort die spannendsten Endurancebikes auf die ultimative Probe zu stellen. Wer Belgien überlebt, hält auch die Strapazen einer ganzen Saison aus – so lautete unsere Logik.

Wie weit würdest du fahren? Wie hart würdest du es dir geben? Wo ist dein Limit?

Das Testfeld

Eine Preisdifferenz von rund 10.000 € zwischen dem günstigsten und teuersten Modell der 11 getesteten Bikes, unterschiedlichste Konzepte, Komponenten und Technologien sorgten nicht nur für hohe Spannung, sondern auch für sehr aufschlussreiche Ergebnisse.

Warum wir das Testfeld so weit stecken? Nun, wir sind dafür bekannt, über den Tellerrand zu schauen sowie Grenzen und Kategorien zu sprengen. Schließlich kann es gut sein, dass sich ein Bike, das man auf den ersten Blick nicht für den definierten Einsatzzweck in Betracht gezogen hätte, viel besser dafür eignet. Ein zu eng gestecktes Testfeld ist quasi so, als würde man auf der Suche nach dem besten Feierabend-Drink nur Biere testen – da würde James Bond nicht nur seinen Martini schütteln.

Bike Schaltgruppe Gewicht Preis
3T Exploro Team SRAM Force 1 8,34 kg 4.999 €
BMC Roadmachine 01 Shimano Dura-Ace Di2 7,62 kg 10.999 €
Canyon Endurace CF SLX Disc 8.0 Shimano Ultegra Di2 7,69 kg 4.999 €
Focus Paralane Factory SRAM Apex 8,05 kg 3.999 €
Ridley X-Trail Shimano Ultegra Di2 8,65 kg 3.499 €
ROSE Backroad-4400 SRAM Force 22 8,46 kg 2.549 €
Specialized Roubaix Expert Di2 Shimano Ultegra Di2 8,39 kg 4.999 €
Trek Domane SLR 10 RSL Shimano Dura-Ace Di2 7,05 kg 11.999 €
OPEN U.P.P.E.R. SRAM Force 1 7,34 kg 4.500 € (Rahmenset)
WHITE Wessex

Shimano Ultegra 8,78 kg 2.599 €

3T Exploro Team | 8,34 kg | 4.999 €

BMC Roadmachine 01 | 7,62 kg | 10.999 €

Canyon Endurace CF SLX Disc 8.0 | 7,69 kg | 4.999 €

Focus Paralane Factory | 8,05 kg | 3.999 €

Ridley X-Trail | 8,65 kg | 3.499 €

ROSE Backroad-4400 | 8,46 kg | 2.549 €

Specialized Roubaix Expert Di2 | 8,39 kg | 4.999 €

Trek Domane SLR 10 RSL | 7,05 kg | 11.999 €

OPEN U.P.P.E.R. | 7,34 kg | 4.500 € (Rahmenset)

WHITE Wessex | 8,78 kg | 2.599 €

Was bedeutet Komfort überhaupt?

Komfort würden die meisten Menschen mit den Worten „gemütlich“ oder „wohlfühlen“ beschreiben; zwei Dinge, die beide richtig sind, aber unterschiedlicher nicht sein könnten. So geht es beim Komfort einerseits um die physische Komponente, sprich Nachgiebigkeit, Flex oder Dämpfung, und damit um das Reduzieren körperlicher Ermüdungserscheinungen (z. B. Vibrationen oder Schläge von der Straße). Andererseits geht es um psychologische Merkmale, sprich das Feeling: Wie wohl fühle ich mich auf dem Rad? Wie vertrauenserweckend ist es? Wer sich auf einem Rad nicht wohlfühlt, der kann keine maximale Leistung abrufen.

Der Systemfehler: die Laborgläubigkeit

Wer obigen Absatz versteht, versteht auch, dass aktuelle Labortests und starre Bewertungssysteme es nicht schaffen, die komplexe Realität und Performance eines Endurancebikes abzubilden. Stattdessen verzerren Labortests unser Urteilsvermögen und missachten die wichtigste Eigenschaft, die ein Bike vermitteln muss: Vertrauen.

Wie erreicht man das perfekte Feeling auf dem Bike?

Der Wunderwerkstoff Carbon hat Gewichts- und Steifigkeitsrekorde gebrochen und insbesondere im Zuge der Aero-Welle vollkommen neue Rohrdesigns ermöglicht. Dennoch hat Carbon ein Problem: Im Gegensatz zu Titan oder Stahl ist es grundsätzlich deutlich starrer und besitzt andere Materialeigenschaften. So nimmt das Material Vibrationen deutlich schlechter auf als traditionelle Werkstoffe und ähnelt eher einer Sprungfeder, die in ihre ursprüngliche Position zurückschnellt – es sei denn, die Carboningenieure haben sich sehr viel mit dem Thema Carbon-Layup und Eigendämpfung beschäftigt. Aus diesem Grund finden sich in diesem Testfeld viele Speziallösungen wie flexende Sattelstützen, entkoppelte Sitzrohre oder gar Federelemente.

Dämpfung, Flex oder Nachgiebigkeit?

„Vertical Compliance“ lautet das große Marketing-Versprechen vieler Hersteller, das dem Wunderbike (jeder baut das beste!) optimalen Komfort bei hervorragender Steifigkeit attestieren soll. Dabei ist es fundamental, zwischen Flex und Dämpfung zu unterscheiden. Wer Mountainbike fährt, weiß, wie wichtig die Dämpfung ist. Wer ein vollgefedertes Mountainbike ohne Dämpfung fährt, hat keine Kontrolle über das Bike, die Federung wirkt wie ein Flummi und bounct durch die Gegend. Flex ohne Dämpfung kann am Rennrad deshalb nicht nur die Effizienz vermindern, sondern auch für weniger Kontrollierbarkeit sorgen. Ein gut gedämpftes Rennrad, also ein Rad, das Vibrationen und Schläge absorbiert, kann auch ohne viel Flex sehr komfortabel sein. Beim Rennrad wirken extrem viele multidirektionale Kräfte, Komfort wünschen wir uns bei harten Schlägen genauso wie bei feinen, von der Straße eingeleiteten Vibrationen. Entsprechend ist der richtige Mix aus Flex und Dämpfung extrem wichtig. Idealerweise sollte man ihn auch einstellen können, schließlich fahren Fahrer mit unterschiedlich aggressivem Fahrstil und unterschiedlichem Gewicht die gleiche Rahmengröße. Spezielle Rahmenfeatures braucht es dazu jedoch nicht, mit dem richtigen Carbon-Layup und der passenden Komponentenwahl kann man heute alles erreichen.

Luftdruck, Volumen und Eigendämpfung der Reifen, die Position auf dem Bike, das Laufraddesign und die Gewichtsverteilung des Fahrers auf dem Bike beeinflussen den Komfort ebenfalls. Deshalb ergibt ein Labortest, der nur einzelne Komponenten misst, nur bedingt Sinn. Schließlich kann eine fatale Komponentenwahl (siehe Vergleichstests Ausgabe #004) die Performance eines Bikes ruinieren – da kann der Rahmen noch so perfekt sein. Und das hat sich auch bei unserem Härtetest in Belgien wieder gezeigt.

Was ist der beste Reifen?

Vom schmalen 26-mm-Rennradreifen bis zum großvolumigen 27,5″ Road Plus (47 mm)-Reifen zeigte das Testfeld unterschiedlichste Variationen. Profiliert oder Slick? Nun, die Eingangsfrage ist eigentlich die falsche, schließlich muss ein Reifen je nach Einsatzgebiet mit unterschiedlichsten Wetterbedingungen und Untergründen zurechtkommen. Essenziell sind deshalb vielmehr der Reifenluftdruck und die Felgen-Kombination, da sie große Auswirkungen auf die tatsächlichen Dimensionen sowie das Abroll- und Walkverhalten hat. Im Testfeld hat uns der Vittoria Corsa 28 mm sehr gut gefallen; seine Längsprofilierung ist ein Traum in Kurven und sorgt für höchste Sicherheit. Auch der 27,5″ WTB Horizon Road Plus war exzellent in Sachen Grip und Komfort, reagiert jedoch auch sehr sensibel auf Luftdruckänderungen.

Braucht es Scheibenbremsen am Endurancebike?

Ja. Wer für gelegentliche Graveleinlagen gerüstet sein möchte und eine bessere Bremsperformance unter unterschiedlichsten Bedingungen haben will, kommt an Discs nicht mehr vorbei. Good news: Shimanos Direct Mount ist der neue Standard, die Bremsentwicklung im Rennradsegment nimmt viel Fahrt auf und man wird in den kommenden Jahren auf (noch) bessere Modelle upgraden können.

Granfondo, Allroad, Endurance, Backroad oder Gravel? Endurance-Bikes helfen wichtige Körner on Tour zu sparen.

Was ist eigentlich ein Endurancebike?

Ehrlich gesagt, war es extrem schwierig, das Testfeld unter das Dach eines gemeinsamen Namens zu bekommen. Mit Namen wie Backroad, Roubaix, X-Trail oder Exploro deuten einige Modelle eine gewisse Richtung an, geben – wie ihr in den jeweiligen Tests lesen werdet – jedoch teilweise ein falsches Versprechen. Das zeigt, dass es auch für die Hersteller nicht einfach ist, diese Allround-Bikes und ihren Einsatzbereich zu kategorisieren.
Jeder, der diese Zeilen liest, füllt den Begriff “Endurance” vermutlich mit anderen Inhalten und das ist auch gut so. Zwischen Granfondo, Allroad, Endurance, Backroad und Gravel bleibt genügend Interpretationsfreiraum um das persönliche Bike zu finden, das nicht kompromisslos auf Racing und Speed ausgelegt ist, sondern Sicherheit, Komfort und Fahrspaß bietet. Deshalb ist es wichtig, sich nicht vom Namen mancher Bikes zu falschen Schlüssen verleiten zu lassen, sondern entweder das Bike vor dem Kauf selbst zu testen oder uns zu vertrauen!

Tops und Flops

Oftmals sind es die Details, die den Unterschied machen: gelungene Integration, erstklassige Ergonomie und mit bedacht gewählte Komponenten. Hier findet ihr alle Tops und Flops der Bikes aus unserem großen Vergleichstest.

Tops

Der linke Lenkerstopfen des Focus Paralane fungiert bei Bedarf als zweites Rücklicht. Sicherheit clever integriert.
Die Nachgiebigkeit des IsoSpeed-Systems am Heck des Trek Domane RSL kann individuell auf das Fahrergewicht angepasst werden.
Kontrovers, aber vielversprechend: Das Future Shock-System am Roubaix spaltete die Meinungen der Testcrew. Je nach Fahrweise und Fahrertyp funktionierte die ungedämpfte Federung im Steuerrohr nicht korrekt und sorgte statt für Komfort für Kontrollverlust. Unbedingt davor testfahren!
Size matters: Die breite Innenmaulweite der Reynolds Assault LE Disc-Carbonlaufrädern lässt die 28 mm breiten Conti-Reifen auf fast 30 mm Breite anwachsen.

Flops

Die Korkbremsbeläge wollen vor dem Wettkampf gründlich eingebremst werden.
Am 3T geht die Sattelklemmung schnell kaputt, die Sattelstützklemmung ist extrem schwierig zu erreichen. Das 3T leistet sich einige Fauxpas – schade!
Der SRAM Force 2 x 11-Antrieb kann nicht mit Shimanos Schaltperformance mithalten.
Die Rose CW-1550-Carbonlaufräder zeigen sich seitenwindanfällig.

Was ist das beste Endurancebike 2017?

Das BMC Roadmachine. Die Frage nach dem besten Endurancebike war schnell beantwortet, doch die Erklärung war komplex: Die Fahrperformance, das durchdachte Design, die Eigendämpfung, das Fahrgefühl und der gewisse Touch Exklusivität machten das 10.999 € teure Schweizer Geschoss zum absoluten Favoriten der Tester und bescherten dem Bike den begehrten Testsieg. Mit einer sehr ähnlichen Performance, hoher Detailliebe und einem unschlagbaren Preis (weniger als die Hälfte des BMC!) geht das Canyon Endurace CF SLX 8.0 Disc als klarer Kauftipp aus diesem Vergleichstest hervor. Für leidenschaftliche Rennradfahrer, die die ultimative Race-Performance suchen, wird das sündhaft teure Trek Domane RSL eine kompromisslose Wahl sein. Das Open U.P.P.E.R. spricht mit einem edlen wie stimmigen Gesamtkonzept abtrünnige Roadies mit Hang zur Offroad-Exzentrik an. Wer ein ehrliches Bike zum unschlagbaren Preis sucht und auf Komfort zum Teil auch verzichten kann, der wird am Rose Backroad seine Freude haben und kann dank Online-Konfigurator einfach unsere Tuning-Tipps umsetzen.

Alle Bikes im Test: 3T Exploro Team | BMC Roadmachine 01 | Canyon Endurace CF SLX Disc 8.0Focus Paralane Factory | Ridley X-Trail | ROSE Backroad-4400 | Specialized Roubaix Expert Di2 | Trek Domane SLR 10 RSL | OPEN U.P.P.E.R. | WHITE Wessex


Dieser Artikel stammt aus GRAN FONDO Ausgabe #005. Für das beste Lese-Erlebnis empfehlen wir unsere interaktiven Magazin Apps für iPhone & iPad – es lohnt sich! (und ist kostenlos!)


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Text: Benjamin Topf, Manuel Buck, Robin Schmitt Fotos: Julian Mittelstädt