Braucht es wirklich noch eine Messe? Diese Frage stellen sich aktuell viele Hersteller – manche stellen das gesamte Messemodell damit in Frage, andere nur, ob es noch weitere Messen braucht. Nach der Wiener Fahrradschau ist klar: Ja, es braucht noch eine, aber bitte anders. Oder besser gesagt: so wie hier!

Bunt und vielfältig – so muss eine Messe sein
Ideenschmiede, offener Austausch und Trendsetting – die kulturelle Leitmesse

Messen und Inspiration

Hinter der Wiener Fahrradschau stehen die Macher der Berliner Fahrradschau unter der Federführung von Fares Gabriel Hadid, der einst die Modemesse Bread & Butter mit aufbaute. Und diesen ganzheitlichen Kultur- und Fashion-Ansatz merkt man auf der Messe sofort, die Liebe zum Detail und der hohe Anspruch sind allgegenwärtig. Statt auf reine Zahlen setzt man vor allem auf Qualität – und hier ist Wien eine perfekte Ergänzung zu Berlin: ein teilweise deutlich kaufkräftigeres Klientel mit viel Begeisterungsfähigkeit für urbane Radkultur, auch wenn die Berliner Radszene und -kultur deutlich weiter und tiefer verwurzelt sind. Doch das ändert sich mit Messen wie diesen.

Die Berliner bzw. Wiener Fahrradschau ist eine Messe, welche die Szene braucht: ein Inkubator für die lokale Szene, Inspiration für die internationale Szene und mit externen Kultur- und Modeeinflüssen ein exzellenter Impulsgeber und Gelegenheit über den Tellerrand der Industrie hinauszuschauen. Der Rahmen einer Großstadt und die großzügigen Öffnungszeiten schaffen genügend Zeit für den offenen und entspannten Austausch. Wer zuhört, bekommt vieles mit. Diese drei Tage Wien waren extrem wertvoll für uns als Magazin, die Früchte dessen werdet ihr auch bald sehen und lesen.

Die Aussteller

Die Berliner Wurzeln waren auch auf der Wiener Fahrradschau zu sehen; Berliner Manufakturen wie Standert, 8bar oder Gramm waren vertreten und präsentierten ihre Highlights. Dazu gehörte das Erdgeschoss, ein in Italien aus Columbus-Life-Rohrsätzen gefertigter Crosser, der auf 10 Stück streng limitiert ist. Ebenso vor Ort waren auch die Berliner-Fahrradschau-Stammgäste wie der Rapha Mobile Cycle Club oder Distributeur Sportsnut mit Ritte, Creme Cycles & Co.

Der Wiener Salon für Radkultur „Veletage“ präsentierte ein ausgewähltes Sortiment der Marken POC, Katusha und Café du Cycliste.

Cervélo präsentierte am Stand von Veletage das neue P5X.
Cervélo präsentierte am Stand von Veletage das neue P5X.

Das Hotel Brillantengrund zählt nicht nur zu den angesagtesten Hotels von Wien, sondern ist auch der Place to be der Wiener Radszene. Auf der Wiener Fahrradschau haben die BBUC-Gründer Marvin Mangalino und Christian Wieners ihre Kollektion gelauncht, die sowohl aus Casual Wear als auch aus Riding Gear besteht. Ein klares Highlight ist der Einteiler, den Mattia Paganotti (@LegorCicli) im Bild trägt. Mattia, ein italienischer Rahmenbauer und Wahlspanier (Wohnsitz und Werkstatt sind in Barcelona), hat für die BBUC-Collab mit ENVE den passenden Rahmen geliefert. BBUC steht übrigens für Brillibrilliant Unicorn – hier geht’s zum neuen Onlineshop: bbuc.co

My Esel: individuelle Holzbikes, von der Geometrie bis hin zum Design an den Kunden angepasst. Ein mit dem Orthopädischen Spital Speising entwickeltes Programm berücksichtigt die Maße und den Fahrstil des Fahrers und berechnet den Holzrahmen, der anschließend mit einer CNC-Fräse in Salzburg produziert wird. Esel gibt es ab 2.999 €.

Der deutsche Hersteller Urwahn setzt auf Integration: So kommen bei diesem Urban-Bike 2-Gang SRAM-Automatiknaben am Heck und ein Doppio Kappstein 2-Gang-Planetengetriebe im Tretlager zum Einsatz. Ein integrierter GPS-Tracker gehört genauso zur Ausstattung wie integrierte LED-Leuchten.

Alberto – seit 1922 steht der Hosenspezialist aus Mönchengladbach für höchste Qualität, die wir in Wien nicht nur begutachten, sondern auch fühlen durften. Das der Funktionalität verbundene Familienunternehmen bietet eine breite Kollektion an urbanen Jeans und Hosen. Und für alle, die sich wundern, warum ein italienisches Unternehmen in Mönchengladbach sitzt: Alberto ist nicht italienisch, sondern urdeutsch (wie man in Wien sagen würde) und eine kreative Namensabwandlung des Gründers Albert Dormanns.

Bei Specialized gab es nicht nur schicke Schuhe (ja auch Urban!), sondern auch schicke Bikes vom Abenteuer-Stahlbike Sequoia bis hin zum urbanen E-Bike Specialized Vado.

Ruff Cycles aus Regensburg produziert nun nicht nur custom Cruisers sondern auch geile E-Bikes!
Ruff Cycles aus Regensburg produziert nun nicht nur custom Cruisers sondern auch geile E-Bikes!

#Cyclingunites

Doch bei der Wiener Fahrradschau ging es nicht nur um Produkte, sondern auch um Begegnungen. Über 100 Einzelevents fanden am vergangenen Wochenende statt. Dazu zählten Events wie das Vienna Rad Cross der Rad Race Crew – ein Cross-Race im 2er-Staffelformat über eine 800 m lange, eigens entworfene urbane Rennstrecke –
ebenso wie das österreichische Qualifikationsrennen für die Brompton-Klapprad-WM in London.

Lycra meets Pelz: Am Sonntag endete der Tweed Ride mit der bekannten Mode-Designerin Lena Hoschek direkt an der Marxhalle, wo zeitgleich die Spandex-Fraktion vom Rapha Ride zurückkam. Wenn das mal nicht #cyclingunites in Höchstform ist?! Schampus für alle!

 Mit #Fasther gab es zudem eine Women’s Area mit Workshops.

Mit #Fasther gab es zudem eine Women’s Area mit Workshops. Foto: Carlos Fernandez Laser

Der Food Market war Dreh- und Angelpunkt für gute Gespräche und leckeres Essen!

Die großzügigen Öffnungszeiten der Show ließen zudem Freiheit für private Rides mit Freunden zu. So gingen wir mit Kurt von Veletage und unseren neuen Freunden von Soigneur auf Erkundungsfahrt durch Wien, die Donau entlang und durch den Wienerwald. Die tief hängenden Wolken und der Nebel waren einfach einzigartig! Hier der Track.

Wieder zurück in der Messe konnte man den Abend am Stand von Bulleit Whiskey mit einem Besuch beim Barbier (vorausgesetzt, man besitzt eine Mähne oder bärtige Haarpracht) oder beim letzten Körnerverbrennen am Stand von Schindelhauer abschließen! #goodlife

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Was ist die Funktion einer Messe in der heutigen Zeit?

Wer auf der Eurobike unterwegs ist, merkt, dass dort kein Platz und keine Zeit für Inspiration ist. In der Hektik geht es vor allem um eines: Business – und das ist auch gut so! Aber wer die Zeit nur nutzt, um sich die neuesten Kniffe beim Konkurrenzhersteller abzuschauen, kommt nicht weiter.

Das Gleiche gilt, wenn man keine Zeit hat, ausführlich zu diskutieren, was man tatsächlich braucht, anstatt sich nervös die immer selbe rhetorische Frage zu stellen: „Oh shit, die haben einen neuen Standard, brauchen wir den jetzt auch?“
Denn manchmal ist es besser, nichts zu machen.

Also, was braucht es?

Eine Messe zum Seele baumeln lassen, für tiefgründige Gespräche und weitsichtigere Inspiration. Kein neues Sea Otter in Europa, keine Berliner Fahrradschaukopie in Düsseldorf oder ein fünftes Crankworx. Ein Original ist gut, weil es originell ist. Das ist in Monterey, Whistler und in Friedrichshafen so – bei allem anderen geht es nicht um Mehrwert, sondern Machterweiterung und Marktanteile. Und da ist die Bikebranche eh schon limitiert, schließlich stehen Hersteller, Magazine und auch potenzielle Eventteilnehmer einem Überangebot gegenüber. Eine Besinnung auf die Stärken und eine Konzentration auf das Wichtigste sind das, was der Markt braucht. Alles andere killt die Kapazität jedes Herstellers.

#cyclingunites
#cyclingunites

Wir brauchen die Eurobike als Welt-Leitmesse und für fucking serious Business. Um den Radsport zu zelebrieren und die Szene zusammenzubringen, braucht es hingegen andere Ansätze: Und hier gibt das weltoffene Konzept aus Berlin den Takt an.

Und wo wir beim Thema Inspiration sind – was hat Wien noch zu bieten außer Mozartkugeln und Museen? Wer die richtigen Leute kennt und „Ja“ zu Neuem sagt, findet hier nicht nur die wahren Brillanten unserer Kultur, sondern wird auch feststellen, dass Brillanz wenig mit Geld zu tun hat. Macht euch bereit auf einen Artikel, der unsere Werte infrage stellt und einiges an Inspiration bietet – ihr dürft gespannt sein!


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Text & Fotos: Robin Schmitt