Ausgabe #003 Touren & Reisen

Ticket to Paradise – Die Seiser Alm in Südtirol

Not on the Highway to hell! Der steinige Weg ins Paradies

Schweiß, Blut und Tränen – wer will, kann es sich auf der Seiser Alm so richtig geben. Und nach einem Tag, der uns besonders kulinarisch alles abverlangte, war es Zeit, durch die Hölle zu gehen (im wahrsten Sinne des Wortes), um hoch hinauszukommen (im noch wahreren Sinne des Wortes).

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Zwischen Nebelschwaden und ersten Sonnenstrahlen machten wir uns schon frühmorgens auf den Weg und genossen die Stille, Einsamkeit und die atemberaubende Kulisse – wer erst gegen Mittag loszieht, ist selbst schuld. Dann verpasst man nicht nur die schönste Stimmung, sondern sieht sich auch einem übermächtigen Heer an Wanderern gegenüber, welche die Schotter- und Wanderwege belagern.

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Unser Ziel, die Plattkofelhütte, lag auf 2.297 m. Wir hatten uns für den späten Vormittag dort oben mit zwei Freundinnen verabredet – dass wir es nicht schaffen würden, war uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Mit einer Karte in der Trikottasche begaben wir uns auf Erkundungstour. Nachdem wir die Almrosenhütte (sehr schön!) und die Mahlknechthütte passiert hatten, standen wir vor einer Gabelung. Laut Karte sollten beide Wege nach Rom führen. Dass wir die Cowboy-Route über den Bergkamm wählen mussten, war ja klar – selbst mit dem Open U.P. und dessen 27,5″-Mountainbike-Bereifung war die Route sportlich, Paris-Roubaix wäre in Anbetracht des losen Gerölls und der Steinstufen bergauf eine Sonntagsausfahrt.

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Ach ja, und ich mit meinem Cyclo-Crosser und unpassenden Schlauchreifen durfte die Trageeigenschaften des Canyon ausgiebig testen. Mit den Nerven am Ende und mit blutenden Füßen nach ungewolltem Steinkontakt schafften wir es dann deutlich später zu unserem Date. Während mein Kollege auf seinem Monstertruck vorausfuhr, verfluchte ich ihn und diese Schnapsidee; selbst die grasenden Pferde spürten mein mieses Karma und machten sich schnell vom Acker. Oben angekommen, wurde ich jedoch für die Mühen mit einem sagenhaften Ausblick auf den Langkofel und den Plattkofel belohnt. Für Traditionalisten mit Rennradschuhen und Aerotrikot ist diese Route definitiv nichts, wer jedoch Lust auf Abenteuer abseits normaler Schotterwege hat, der wird hier auf seine Kosten kommen! Pflicht ist jedoch gutes Schuhwerk. Wir trugen MTB-Schuhe mit Vibram-Sohle, die in diesem Fall jeden einzelnen Cent wert waren.

Drumpf, Brexit oder die nächste Steuererklärung – nirgendwo sind diese Dinge weiter weg als auf der Seiser Alm. Ein Ort zum Abschalten, Genießen und, wenn man will, auch zum Alles-Geben!

Die abschließende Abfahrt war bis zu 20 % steil und musste wiederum mit dem Crosser vorsichtig angegangen werden. Im Tal ging es dann wieder zurück über die Rauchhütte bis nach Compatsch, um noch eine Gravel-Runde dranzuhängen. Dafür mussten wir jedoch erst mal den rund 3 km langen, asphaltierten Anstieg hinauf zum Ristorante Bullaccia überstehen. Die Steigung fällt nie unter 10 % und wartet mit einem Steilstück von bis zu 26 % auf 500 m auf. Trotz jeglicher Bedenken schafften wir es mit unseren 1×11-Antrieben und den „Forza, Forza“-Rufen der italienischen Wanderer hinauf. Oben gönnten wir uns dann einige Minuten, um uns wieder zu erholen, bevor es auf den Rundkurs über das Bergplateau ging. Hier wechselten sich leichte Gravel-Passagen mit Mountainbike-Trails ab, sodass ich ein um das andere Mal gezwungen war, einige Meter zu Fuß fortzusetzen. Dafür wurden wir oben wieder mit einer einmaligen Fernsicht belohnt. Am Ende standen knapp 35 km und 1.400 Höhenmeter auf dem Computer. Aber eigentlich war das egal.

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Augen zu und durch!

Wer nur auf seinen Tacho schaut, ist selbst schuld. Auf dem Rennrad lässt sich weit mehr erkunden als die eigene Laktatschwelle. Deshalb hatten wir uns bewusst für eine Reise abseits der herkömmlichen Routen und Pässe entschieden und sind an Orte gelangt, an denen noch kein Rad mit Rennlenker jemals war.
Gravel, New Road oder All-Road – egal wie man diese neue Generation auch nennen mag, sie eröffnen jedem Zweiradenthusiasten eine weitere Dimension, um Neues zu erkunden, abzuschalten, sich zu quälen oder einfach nur Spaß zu haben. Sie zelebrieren die Renaissance des ursprünglichen Rennradfahrens und stellen nicht die Bikes, sondern die Attitüde in den Vordergrund. Diese neue Generation gibt uns die Freiheit zurück und nimmt uns die Ausrede „geht nicht“. Die Grenzen verschieben sich und ermöglichen es heutzutage jedem Straßenfahrer, mit gewohntem Setup neue und unbekannte Wege einzuschlagen.
Die Seiser Alm ist dafür bestens geeignet – sie ist sozusagen das Planschbecken für entdeckungsfreudige Roadies, ohne dass man sich das Becken mit den anderen Kindern teilen muss (hier pinkelt dir auch niemand rein). Doch Europas größte Hochalm bietet viel mehr, als ein bloßes Trainingsrevier für Radfahrer zu sein. Sie bietet die perfekte Mischung aus Abenteuer, Wellness und Training in einem familienkompatiblen Format. Wie geil ist das denn?

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Die richtige Ausrüstung

Unsere Bikes:

Open U.P.: Der Monstertruck unter den Gravel-Bikes. Flink genug für ausgiebige Straßenmanöver, potent genug für das Hochgebirge. Das Open U.P. eröffnet neue Wege und verschiebt die Definitionsgrenzen von „All Road“. Man kann sowohl klassische Straßen- wie auch Mountainbike-Reifen fahren.

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Preis: 4.900 €
Gewicht: 8,71 kg
Mehr Infos: opencycle.com

Canyon Inflite AL 9.0. SLX: Ein klassischer Cyclocrosser, mit dem man Rennen gewinnen oder eben ausgiebige Schottertouren unternehmen kann. Im groben Gelände muss man das Bike logischerweise eher mal schultern. Die sehr rennlastige Kombination aus Reynolds-Carbonlaufrädern und Tubular-Reifen war für unser Unterfangen sicher nicht die ideale Lösung. Das neue 2017er-Modell bietet jedoch mittlerweile Schwalbe Tubeless-Ready-Reifen, die ebenso renntauglich und um einiges wartungsfreundlicher sind.

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Preis: 2.999 €
Gewicht: 8,06 kg
Mehr Infos: canyon.com

Die richtigen Schuhe

Wer gemütlich in einer Hütte einkehren will oder für etwaige Tragepassagen gewappnet sein möchte, sollte auf Mountainbike-Schuhe setzen. Im Gegensatz zu Rennradschuhen sind diese meist weniger steif und bieten deutlich mehr Grip. Wer auch Wert auf Stil legt und das nötige Kleingeld besitzt, kauft die schlanken Giro Empire VR90 MTB-Schuhe mit Vibramsohle, die auch in Wanderschuhen zum Einsatz kommt.

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Das richtige Outfit

Während die Trikotwahl mal sportlicher, mal lockerer ausfiel, trugen wir bei jeder Tour eng geschnittene Randonnée-Shorts über unseren Trägerhosen. Mit diesen Hosen sendet man seiner Umwelt ein klares Zeichen: Ich könnte schneller, wenn ich wollte (Trägershorts mit Polstern), aber ich ziehe es vor, in der nächsten Hütte einzukehren und das Leben zu genießen (Randonnée). Und für alle Familienurlauber gilt: Endlich muss man sich nicht mehr für uns schämen. Ach ja, und bitte bitte kein Aero-Outfit! Gute Outfits gibt es von Pedal Ed, Rapha, Giro und Shimano.

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Unsere Routen

Bitte diese Routen nicht herunterladen – nein, im Ernst! Schnappt euch im Hotel eine Karte und geht selbst auf Erkundungstour. Navigation und Orientierung sind auf der Seiser Alm super leicht und befeuern den Entdeckergeist.

Easy

Medium

Heavy

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Die besten Hotels

Adler Mountain Lodge

Als eines der besten Hotels in Südtirol gibt es hier die perfekte Auszeit in einem All-inclusive-Package, das seinesgleichen sucht. Wer mit dem Partner oder der Familie entspannen, keine Entscheidungen treffen und kulinarische Hochgenüsse oder den Infinity-Pool mit Aussicht auf die Dolomiten genießen möchte, ist hier genau richtig.
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Alpenhotel Panorama

Klassisches, familiengeführtes Hotel mit – wie der Name schon sagt – atemberaubendem Rundum-Panorama. Highlight: Nach der Tour in der Heusauna entspannen!
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Aussergostnerhof

Nicht auf der Seiser Alm, sondern im Tal bei Seis gelegen, findet man hier schicke Suiten auf dem Bauernhof, auf dem Franz Musler die Kräuter für den famosen 25-Kräuter-Salat seiner Gostner Schwaige anbaut.
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Berghaus Zallinger

Gemütliche Almhütte mit angrenzender Kapelle und guter traditioneller Küche (bekannt für ihre Wildgerichte). Super Ausgangspunkt für Touren auf der Seiser Alm.
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