Ausgabe #003 Touren & Reisen

Ticket to Paradise – Die Seiser Alm in Südtirol

Kulinarisches Doping

Sterneessen ohne Hokuspokus

Der erste Tag stand ganz im Zeichen des Formaufbaus – auf dem Rad sowie auf den Hütten! Als Teil unseres minutiös geplanten Trainingsprogramms (räusper) hatten wir schon vorher einen Tisch auf der Gostner Schwaige reserviert. Die Alphütte ist ein beliebter Treffpunkt für langjährige Besucher der Seiser Alm und so verwundert es nicht, dass man sich hier inmitten eines babylonischen Sprachgewirrs aus deutschen, ladinischen und italienischen Stimmen wiederfindet.

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Was das Essen angeht, wurde uns nicht zu viel versprochen: Sterne-Niveau, aber bodenständig und mit akzeptablem Kurs. Ordentliche Portionen, von denen man zu Hause noch Wochen und Monate (gedanklich) zehrt. Im frischen Brotlaib servierte Heusuppe, ein Salat mit 25 frischgepflückten Bergblüten und -kräutern und als Nachtisch ein in der heißen Pfanne servierter Kaiserschmarrn mit Minze und Aprikosen – Weltklasse! Und das ganz ohne die Gezwungenheit und Komplexität eines Sterne-Menüs. Nicht zu Unrecht meinen Kenner, es sei die beste Almhütte der Alpen. Ach ja, auch wenn man das den Kumpels zu Hause nicht unbedingt erzählen sollte, ist der rosa schimmernde Rosen-Prosecco-Aperitif auch verdammt gut …

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Der Chef des Hauses, Franz Musler, kümmert sich noch persönlich um seine Gäste und so gab er uns bei einem Glas selbstgebranntem Schnaps den Tipp, einmal von der Seiser Alm runterzufahren, um der Brennerei „Zu Plun“ einen Besuch abzustatten.

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Sprit & Spirituosen

Die aus dem Giro d’Italia bekannte Strecke zu der Brennerei ist lang und steil, geübten Fahrern sollten die engen Serpentinen jedoch keine großen Probleme bereiten. Entgegen der Profis mussten wir jedoch kein Bergzeitfahren, sondern konnten eine entspannte Abfahrt absolvieren.

Unten angekommen, lud uns der Hausherr Florian Rabanser ein, seine Destillerie einmal von innen zu begutachten. Auf seinem in Eigenregie ausgebauten Hof (Plunhof), der schon im 14. Jahrhundert das erste Mal urkundlich erwähnt wurde, brennt und vertreibt der Südtiroler klassische und mutige Spirituosen, die er mit alpenländischen Kräutern zu famosen Mixturen vermischt. Rabanser, ein Mann der Taten und Experimente, teilte mit uns seine Ansichten zu den kursierenden „Schnapsideen“.

„Fast jedes Arschloch kann heutzutage einen Gin machen!“

Aus der Idee, abseits des „Arschloch-Gins“ auch einmal zu experimentieren, hat der Südtiroler mittlerweile fünf verschiedene Gins gezaubert – jeder mit seiner eigenen Geschmacksnote und Geschichte. Ein Highlight ist dabei sicherlich der Dolomites Gin, der ausschließlich auf Basis von Bergkräutern aus den Dolomiten hergestellt wird und den wir mit seinem kräftigen Charakter auch gerne einem blumigen Ferdinand’s Gin vorziehen.

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Noch spannender ist die Entstehungsgeschichte von Rabansers würzig-orientalisch schmeckenden Indian Williams-Birne-Brand, in dem ein 500 Jahre alter Elefant steckt: In den europäischen Herrscherdynastien war es früher üblich, gute diplomatische Beziehungen mit exquisiten Geschenken zu bekräftigen, und so durfte sich der spätere Kaiser Maximilian II. 1551 über einen indischen Elefanten namens Soliman freuen, ein Geschenk der Tochter des habsburgischen Kaisers. Der Kaiser in spe ließ es sich nicht nehmen, den Dickhäuter auf seinem Weg von Spanien nach Wien höchstpersönlich zu begleiten. Die kaiserliche Karawane durchquerte dabei auch Südtirol und so kam es, dass unser findiger Destillateur diesem historisch-elefantösen Ereignis einen eigenen Schnaps widmete, der orientalische und westliche Geschmäcker im Mund vereint.

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Bei all seinen Kreationen kommt es Rabanser auf zwei Dinge an: Bei keinem Destillat wird Zucker verwendet, „schließlich ist Alkohol nichts für Kinder“! Außerdem arbeitet der Südtiroler traditionell und nachhaltig: „Wenn die Marille mal nicht reif ist, dann ist das halt so.“ Aber keine Angst – für die nächsten Jahre ist schon vorgesorgt. In Dutzenden Fässern, deren Holz aus Spanien, Frankreich, Italien und Österreich kommt, lagern schon die Jahrgänge für die Zukunft.

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Viva el Bergsee

Mit nun wieder vollen Trinkflaschen machten wir uns auf den Weg zu unserem heutigen Etappenziel, dem Völser Weiher. Die etwa 3 km lange Auffahrt zum See ist im Durchschnitt 7 % steil, man sollte also noch einige Reserven für diesen Schlussanstieg haben. Wir hingegen pedalierten ziemlich flott bergauf, was aber wohl eher der Gin-Verkostung des Herrn Rabanser zu verdanken war … Der Weiher bietet sich für ein entspanntes Ausklingen des Tages mit Freunden oder der Familie an. Gerade in den Abendstunden, in denen die Hitze des Tages nachlässt, das Wasser jedoch noch genügend Wärme gespeichert hat, kann man in voller Radmontur direkt in den See springen. Wer nach solch einem Tag immer noch den Drang verspürt, sich weiter zu quälen, der kann die Rückfahrt über einige technisch schwierige Trails bis nach Seis verlängern und stilecht mit der Strecke des Giro-Bergzeitfahrens nach Compatsch abschließen. Alle anderen können sich gemütlich von der Familie oder Freunden zurückkutschieren lassen.

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