Wer würde nicht gern Profi sein? Nachdem klar war, dass John Degenkolb bei den Frühjahrsklassikern nicht starten konnte, hat Giant-Alpecin uns gefragt, ob wir einspringen wollen. So erwarteten uns bei der Flandernrundfahrt nicht nur härtestes Pflaster und steile Hellinge, sondern auch ein nagelneues Teambike und voller Race-Support.

„Get the fuck out of my way!“, brüllt der Fahrer vor mir. Es herrscht Krieg. Der Paterberg hat es in sich, keine Frage. Wer den berühmten Helling der Flandernrundfahrt schon mal gefahren ist, weiß, wie hart er ist und wie sich die Profis hier hinaufquälen, manchmal sogar absteigen und schieben müssen. Genau das habe ich gerade vermieden, als ich taktisch klug nach Schlupflöchern suchte, um den Schwung mitzunehmen und meine Trittfrequenz zu halten. Die letzten 20 km haben mich bereits Krämpfe gequält, die ich nun aber nicht mehr spüre. Der Biss, durchzukommen, das selbstgesteckte Ziel zu erreichen, ist größer und lässt mich auch die Qualen ignorieren. Im Ziel dann das ZDF-Interview: Der Kameramann will wissen, was den Reiz eines solchen Rennens ausmacht. Um diese Frage zu beantworten muss ich etwas ausholen.

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Das Leben als Profi ist glamourös – zumindest dann, wenn man als Top-Athlet im Scheinwerferlicht steht und Respekt und mediale Aufmerksamkeit bekommt. Ansonsten ist es vor allem eines: anstrengend! Viel Verzicht, hartes Training, ausgeprägte Hierarchien und geregelte Abläufe.

Als Jedermann idealisieren wir dieses Leben und üben uns gleichermaßen in Askese. Dabei verabschieden wir uns häufig von der Realität und stellen uns vor, wie wichtig all das ist, was wir machen, die Trainingseinheiten, die gezielte Ernährung, die Materialschlacht. Wir wollen uns wie die Profis fühlen, kleiden und natürlich auch irgendwie gesponsert werden.

Natürlich war ich kein Ersatz für Dege, sondern bin der Einladung von Alpecin gefolgt, den Granfondo am Samstag vor dem Profirennen mitzufahren – mit Teamausrüstung, Teambike und Teamsupport. Das Motto: Ride like a Pro.

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Mehr Schein als Sein also? Nicht ganz. Ein komplettes Team-Set-up macht einiges einfacher – einwandfreies, optimales Material, Support und Coach. An den Rahmenbedingungen kann es also schon mal nicht scheitern. Gleichzeitig weckt ein solcher Auftritt natürlich Erwartungen, wie sich später im Granfondo auch herausstellen sollte: (zu) viel Aufmerksamkeit, gezielte Attacken von anderen Teilnehmern – man möchte ja mit den Profis mithalten – und ehrfürchtige Blicke.
Fakt ist: Egal welches Teamtrikot man trägt, darin steckt immer ein Mensch. Und der hat Respekt, Ehrfurcht oder fühlt Anspannung. Wie verlaufen die 130 km über 7 Paves mit Europas härtestem Pflaster und 15 unbarmherzig steilen Hellingen?

“KLEIDER MACHEN LEUTE – DOCH FAKT IST DIE LEUTE BLEIBEN IMMER NOCH DIE GLEICHEN LEUTE”

Trotz der Anspannung vor dem Tag der Wahrheit stellte ich von Anfang an für mich klar: Ich möchte nicht mit falschem Ehrgeiz um den Sieg fahren. Generell sollte man sich bewusst machen, warum es Events wie den Ronde van Vlaanderen Cyclo überhaupt gibt. Hier kann jedermann (an diesem Tag sollten es 16.000 Fahrer sein) genau das erleben und genau die Hellinge und Pflasterstein-Segmente bezwingen, welche die Profis am nächsten Tag fahren werden. Wie geil ist das denn? Welcher Fußballfan hat schon die Möglichkeit, in den legendärsten Stadien dieser Welt zu spielen? Radsport ist hautnah, echt und verbindet Generationen wie Menschen unterschiedlichster Herkunft und Motivation.

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Falscher Ehrgeiz

Dennoch gilt: Ein solches Event mit Siegesabsicht mitzufahren, endet in Frustration. An Schlüsselpassagen kann es gut und gerne mal zu Staus kommen und auch so tut man gut daran, an den zahlreichen Verpflegungsstationen eine leckere belgische Waffel zu genießen, statt über die Strecke zu hetzen und die anderen Teilnehmer durch eine rücksichtslose Fahrweise in Gefahr zu bringen – wie man es leider Gottes häufiger erlebt. Wem muss man hier etwas beweisen? Ruhm und Ehre gewinnt man an der Spitze des Pelotons. Wer kennt schon den Sieger eines Jedermann-Rennens?

Wie wäre es mal damit, das Leben zu genießen?

Man sollte ehrlich zu sich selbst sein, der Realität in die Augen schauen und einsehen: Das ist kein Rennen gegeneinander, sondern miteinander. Jeder Fahrer da draußen trägt Verantwortung für seine Kumpane und dafür, durch die eigene Fahrweise keinen anderen in Gefahr zu bringen, gleichzeitig aber noch Respekt und Rücksicht auf die anderen sowie die Natur zu nehmen. Hier gewinnt man nicht mal einen Blumentopf.

Und wenn man das verstanden und sein Leistungs-Ego überwunden hat, dann verpasst man auch nicht das Schönste an so einem Wochenende. Und genau das habe ich gemacht!

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Bier vs. Vorbereitung

Am Vorabend des großen Tages war ich mit Coach Mario Kummer die Strecke durchgegangen und hatte mir wichtige Tipps des Ex-Profis zu Herzen genommen, während wir an unserem Freitag-Feierabend-Bier nippten. Mit gesundem Geist kann man auch besser Gas geben, als Rennfahrer ist mentale Stärke weitaus wichtiger als verbissener Ehrgeiz. Und wenn es nachher an einem Bier scheitert, dann muss man sich grundsätzlich Gedanken über seine Konstitution machen.

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Genau so sah ich mich am nächsten Tag: platt. An der Vorbereitung konnte es auf jeden Fall nicht liegen.

Alarm

Um 5.30 Uhr ging es los, Türen knallten im Radsporthotel und ich fluchte in meinem Bett. Musste dieser Depp nebenan mir mein letztes halbes Stündchen Schlaf rauben? Vielleicht hatte ich mir nach einer langen Arbeitswoche auch einfach etwas anderes vorgestellt, als mich übermüdet vor Sonnenaufgang aus dem Bett zu quälen.

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It’s race day! Isn’t it? Der Automaten-Kaffee beglückt zwar nicht meine Geschmacksrezeptoren, dafür aber meine Gehirnzellen. Ich fühle mich bereit.

Vom Hotel wurden wir zum Start geshuttelt. Vor Ort wurden die letzten Vorbereitungen getroffen. Eine kleine Gruppe von Menschen begann, sich um den Teambus zu versammeln.
Oh shit, dachte ich mir – wenn die wüssten, was in mir vorgeht und dass ich genauso aufgeregt bin wie jeder andere Teilnehmer. Auch mit Teamkit war ich schließlich ein Mensch wie jeder andere. Die Tatsache, dass ein ZDF-Filmteam und Moderatorin Annika Zimmermann für eine Granfondo-Story mit vor Ort waren, sorgte natürlich für zusätzliches Interesse.

Auf dem Bike fühlte sich die Welt dann wieder in Ordnung an. Endlich Freiheit auf zwei Rädern, nur ich, das Bike und die Strecke. Ach nee, halt: ich, das Bike und 16.000 andere Radfahrer. Und das sollte uns später an den Hellingen zum Verhängnis werden.

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Mit frischen Beinen gab ich am Anfang ordentlich Gas, das neue Material und das Teamkit motivierten und waren trotzdem Fluch und Segen zugleich. Einerseits brachten sie Respekt und schafften Platz im Feld. Andererseits fuhren diverse Fahrer Attacken, um zu beweisen, dass auch sie mit den (scheinbaren Profis) mithalten konnten. Gleichzeitig stiegen auch die Erwartungen: Von einem Fahrer in voller Teamausstattung wird Leistung erwartet, und wer möchte schon die Fahrer um sich herum enttäuschen? Damit wird ein Granfondo mehr als nur ein Kampf gegen sich selbst.

Egal ob Flandern oder Paris-Roubaix, die Vortages-Events leben von der Anziehungskraft dieser legendären Klassiker. Und genau hier liegt der Reiz: An einem Wochenende die gleiche Strecke wie die Profis zu bezwingen. Wer mitfährt, versteht danach die Strecke, die Herausforderung und das Leid besser – und das Schöne ist, dass man zwischen drei Streckenlängen wählen und an den Verpflegungsstationen stresslos seine Energiespeicher wieder auffüllen kann.

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Da es dort aber keinen Kaffee gab, entschied ich mich dazu, entlang der Strecke an einer Bar anzuhalten. Wieso auch nicht? Ob ich hier oder an der Verpflegungsstation stoppte, war doch egal. Als ich die Bar betrat, wurde ich freundlich begrüßt, Einheimische zischten bereits das erste Stella, an den Wänden hingen Rennrad-Reliquien. Hier wurde Radsport zelebriert.

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Mit Koffein im Blut (und im ha-ha-Haar) ging es wieder auf die Strecke. Die Pavés galt es möglichst schnell zu fahren, die Geschwindigkeit stabilisierte sich und machte die Kopfsteinpflaster erträglicher. Auf den legendären Anstiegen am Kwaremont oder Paterberg sah man bereits die letzten Vorbereitungen an den Festzelten und VIP-Bereichen für den morgigen Renntag der Profis. Eine Millionen Zuschauer wurden entlang der Strecke erwartet – ein Volksfestspektakel, das seinesgleichen suchte und das wir in einem Giant-Alpecin-Teamcar am nächsten Tag hautnah miterleben sollten.

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Come race day! Die Profis live auf der Strecke im Giant-Alpecin-Mini verfolgen.

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Die Ziel-Zeit? Habe ich mir bis heute nicht angeschaut. Ist mir auch egal. Die Zeit vergeht, und was bleibt, ist die Erinnerung an ein sagenhaftes Wochenende mit großartigen Leuten, tollem Support und einem wohlverdienten Bier im Zielbereich. Und natürlich das Gefühl, für einen Tag ein bisschen wie ein Profi gewesen zu sein – auf derselben Strecke, mit demselben Material und demselben Support. Doch statt ihr Leiden zu imitieren, habe ich meinen eigenen Weg gefunden. Inklusive Kulturprogramm und Espresso-Stopp.

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Text: Robin Schmitt Fotos: Noah Haxel