Kann ein Bike zu schnell sein? Ist der Reiz verloren gegangen, uns einfach in den Sattel zu schwingen und alles rauszuholen was geht, für die reine Freude an der Geschwindigkeit – auf dem guten alten Asphalt? Wir wollten es herausfinden und haben das neue Merida Reacto II Team-E getestet.

Merida Reacto DISC TEAM-E
Merida Reacto DISC TEAM-E | Rahmen: CF4 | 9.399 €

Als dieses Bike im GRAN FONDO Headquarter auftauchte, war allen sofort klar, wofür es gebaut ist: Speed. Unser Testmodell wird auch vom Worldtour-Team Bahrain Merida gefahren. Wenn die Jungs mit 50 km/h und mehr unterwegs sind und unter extrem schwierigen Bedingungen performen müssen, brauchen sie eine Maschine, die ihnen das Leben so leicht wie möglich macht. Dieses Bike ist dafür gebaut, Luftwiderstand zu minimieren und so aero zu sein wie es nur geht. Eine reinrassige Rennmaschine für Sprinter und Ausreißer. Meridas erstes komplett aero-optimiertes Bike war das 2013 erschienene Reacto II. Das Reacto II E-Team baut darauf auf, ist aber noch besser.

Merida Reacto: Aerodynamik

Ein Bike, das für hohe Geschwindigkeiten gebaut ist, kann sich dem Einfluss der Aerodynamik nicht entziehen. Laut Merida ist das Reacto Team-E dank Verbesserungen am Cockpit, am Rahmen und an der Sattelstütze um 4% effizienter geworden als sein Vorgänger. Um das Ganze greifbarer zu machen: “Auf einer 100-km-Solofahrt spart ihr genauso viel Energie, als wenn ihr dieselbe Strecke auf einem Rennrad mit runden Rohren gefahren wärt, aber davon 30 km im Windschatten.”

Merida Reacto DISC TEAM-E
Dieses Bike ist so aerodynamisch, man möchte es am liebsten umarmen.

Um zu dieser Aussage gerecht werden zu können, mussten mehrere Teile des Rahmens neu designt werden, zum Beispiel die Sitzstreben, wo eine Biegung nach innen die Aerodynamik effizienter macht. Steuerrohr und Sattel sind schlanker geworden, um ebenfalls den Luftwiderstand zu reduzieren. Dadurch wirken Optik und Haptik von Gabel, Rahmen und Vorbau sauber und harmonisch.

Merida Reacto DISC TEAM-E

In der neuen Reacto-Reihe gibt es zwei im Handel erhältliche Rahmendesigns, das CF4 und das CF2, die sich preislich nach Carbon-Layup unterscheiden sowie danach, ob das Cockpit integriert oder semi-integriert ist. Das FSA Vision-Metron-5D-Cockpit ist vollintegriert am CF4-Modell und semi-integriert beim CF2.

Merida Reacto DISC TEAM-E Merida Reacto DISC TEAM-E

An der Variante mit Felgenbremse ist die hintere Bremse mit Direktaufnahme unter der Kettenstrebe versteckt, ein weiteres Detail, das den Luftwiderstand verringert. Doch auch bei der Scheibenbremsenversion gibt es ein Upgrade in Form von Kühlrippen an den die Bremssätteln. Laut Merida kühlt dieses die Bremsen um 35 % schneller; interessant wird, ob andere Hersteller hier nachziehen werden. Das Reacto II ist das erste Modell mit Scheibenbremsen, bei unserem Testmodell waren es Shimano Dura Ace.

Merida Reacto DISC TEAM-E
Hierbei handelt es sich nicht um Mini-Rallyestreifen…
Merida Reacto DISC TEAM-E
…sondern um ein Kühlsystem für die Shimano Dura-Ace-Bremsen.

Auch das Sitzrohr ist auf die weitere Verringerung von Luftwiderstand ausgelegt, es ist gekurvt und schmiegt sich nah ans Hinterrad, lässt jedoch noch genug Raum für die 25 mm breiten Continental 4000er-Reifen. Aber wir können uns sowieso nicht vorstellen, dass irgendwer hier breitere Reifen will als diese, denn das wäre völlig konträr zum Daseinszweck des Bikes.

Unser Team-E-Testmodell stattete Merida mit DT Swiss PRC-1400-Spline-DB 65-Laufrädern aus. Mit 65 mm Felgenhöhe sind diese Aero-Laufräder wie gemacht, um die Luft zu zerschneiden. Man nimmt den Effekt deutlich wahr, sie sorgen für spürbar weniger Ermüdung auf Routinetouren, und das bei höherer Durchschnittsgeschwindigkeit.

Merida Reacto Team-E: Fit

Merida Reacto DISC TEAM-E
In Kurven fühlt sich das Reacto ausbalanciert und stabil an, und macht einfach Spaß.

Das Reacto Team-E gibt es in zwei Rahmenvarianten: Wir testeten das CF4, das eine race-orientierte Geometrie bietet. Das CF2 hat ein semi-integriertes Cockpit mit rundem Lenkrohr und einem 15 mm längeren Steuerrohr, was für eine entspanntere Sitzposition sorgt. Es ist auch in Größe XXS erhältlich, wohingegen es das CF4 nicht in dieser zusätzlichen Größe gibt – eigentlich überraschend, angesichts der Größenunterschiede im Profi-Peloton – man denke nur an den zwischen André Greipel und Caleb Ewan.

Merida Reacto DISC TEAM-E
Flex in der Sattelstütze und den Sitzstreben sorgt für ein komfortableres Fahrgefühl – nicht unbedingt etwas, wofür Aero-Bikes berühmt sind.

Das Modell verfügt auch über Flex in der Sattelstütze, die mit drei verschiedenen Offset-Möglichkeiten ausgestattet ist. Der Einsatz aus Silikonkautschuk ist größer geworden als beim Vorgänger, um durch Vibrationsdämpfung das Maximum an Komfort zu bieten. Für das CF4-Modell wurden zwei leichte one-piece-design Sattelstützen designt, so dass man beim Offset die Wahl hat. Das Two-Piece ist etwas schwerer und kann bei Bedarf auch beim CF 4 verwendet werden.

– One-piece design, 350 mm Länge, 15 mm Offset – CF4-Modell
– One-piece design, 350 mm Länge, 25 mm Offset – CF4-Modell
– Two-piece design, 0-15 mm Offset, drehbarer Kopf – CF2-Modell

Merida Reacto Team-E: Gewicht, Modelle, Geometrie, Verfügbarkeit

Alle Modelle vom Reacto Team-E bis zum Reacto 8000-E basieren auf dem CF4-Rahmendesign, die restlichen Modelle auf der CF2-Variante.

Gewichtsunterschied zwischen den Reacto CF4- und Reacto CF2-Modellen

CF4 CF2
Rahmen 1010 g 1093 g
Gabel 368 g 403 g
Sattelstütze 250 g 300 g

Gewichtsmäßig macht das keinen großen Unterschied – 168 g zwischen den CF4- und CF2-Modellen. Doch die CF4-Modelle haben im allgemeinen höherwertige Komponenten, und ein integriertes Cockpit. Alle Modelle sind mittlerweile im Handel erhältlich.

Gewichtsunterschied Reacto II vs. Reacto III:

Reacto II Reacto III
Rahmen 1250 g 1010 g
Gabel 406 g 368 g
Sattelstütze 300 g 250 g
Sattelklemme 30 g 30 g
Steuersatz 60 g 53 g
= 2046 g 1711 g

Doch beim Gewichtsunterschied zwischen dem Reacto II und dem Reacto III ist der Sprung deutlich größer, 335 g, die hauptsächlich an Rahmen und Gabel eingespart wurden.

Merida Reacto CF4 – Geometrie

Größe XS S S-M M-L L XL
Sitzrohr 470 mm 500 mm 520 mm 540 mm 560 mm 590 mm
Oberrohr 520 mm 535 mm 545 mm 560 mm 575 mm 590 mm
Steuerrohr 117 mm 127 mm 142 mm 157 mm 172 mm 192 mm
Sitzwinkel 74,5° 74,0° 74,0° 73,5° 73,0° 73,0°
Lenkwinkel 71,5° 72,5° 73,5° 73,5° 73,5° 74,0°
Kettenstrebe 408 mm 408 mm 408 mm 408 mm 408 mm 408 mm
Gabel 368 mm 368 mm 368 mm 368 mm 368 mm 368 mm
BB Drop 70 mm 70 mm 66 mm 66 mm 66 mm 66 mm
Stack 512 mm 525 mm 542 mm 557 mm 571 mm 592 mm
Reach 378 mm 385 mm 390 mm 395 mm 400 mm 409 mm

Merida Reacto DISC TEAM-E – Design

Das neue Merida Reacto sieht clean, elegant und entschlossen aus – man sieht auf den ersten Blick, wofür es gemacht wurde, es schreit laut und deutlich “Aero”. Die Farbgebungen sind insgesamt eher konservativ, aber gelungen. Aber allein schon durch das Rahmendesign könnt ihr euch sicher sein, dass ihr auf eurer Wochenendtour eine Menge Aufmerksamkeit auf euch ziehen werdet.

Merida Reacto DISC TEAM-E
Merida Reacto DISC TEAM-E Merida Reacto DISC TEAM-E

Die Klemmung der Sattelstütze sieht aus, als ob sie einfach zu handhaben wäre, war aber dann doch sehr fiddelig beim Einstellen, und fügt sich auch nicht so nahtlos in die Ästhetik des Rahmens ein, wie man es sich wünschen würde – aber das ist Geschmackssache. Diejenigen unter euch, die wie wir einen Klare-Linien-Fetisch haben, werden es auch so sehen.

Merida Reacto DISC TEAM-E
Die Sattelklemme ist leicht zugänglich, aber überraschend fummelig.
Merida Reacto DISC TEAM-E Merida Reacto DISC TEAM-E

Merida Reacto DISC TEAM-E: Ausfahrt

Rennmaschinen müssen wendig und leicht sein, und das Selbstvertrauen ihrer Fahrer stärken – denn diese müssen sowohl körperlich als auch mental an ihre Grenzen gehen. Das Reacto Team-E enttäuscht hier nicht, es ist laufruhig und reagiert sehr schnell. Die sehr gut ausbalancierte Gewichtsverteilung trägt dazu bei, dass man eine gute Bodenhaftung spürt. Und obwohl sie sehr steif sind, verleihen die Sitzstreben dieser Pro-Rennmaschine unerwartet viel Komfort.

Merida Reacto DISC TEAM-E

In dem Moment, in dem ihr euch in den Sattel schwingt, ist es zu allem bereit. Ihr fahrt los, und es fühlt sich an, als ob ihr völlig ohne Anstrengung cruisen könnt. Ihr schaltet einen Gang hoch, und fangt an zu fliegen. Dank der Steifigkeit des Rahmens führt jedes bisschen Druck am Pedal zu sofortigem Vortrieb.

Die Geometrie ist aggressiv, was man von einem Racebike wohl auch erwarten kann, doch sie erlaubt es, sich tief in den Rahmen zu legen. In dieser Position ist euer Schwerpunkt niedriger und ihr habt mehr Kontrolle über das Bike, wenn ihr in Kurven hinein fahrt. Die Position verlangt aber etwas Übung, wenn man sie nicht gewohnt ist. Mit Spacern für den Vorbau kann man sie nach Wunsch tiefer oder höher machen.

Die flache Oberseite des Lenkers bildet in “TT-Momenten” eine komfortable Ablagefläche für eure Unterarme, und in dieser Haltung sind die Di2 Schaltknöpfe an den Enden der Schalthebel leicht zugänglich – mehr dazu unten.

Merida Reacto DISC TEAM-E

Das gesamte Bike fühlt sich in Kurven kontrolliert und sanft, die Gewichtsverteilung gleichmäßig, die Front laufruhig an. Es gibt keinerlei Anzeichen von Nervosität. Bei den DT Swiss Aero-Laufrädern zeigt sich kein Flex beim Bremsen oder in engen Kurven, was Sicherheit und Kontrolle bietet. Die tiefen Aerofelgen schneiden wie ein Messer durch die Luft, sind dadurch aber etwas anfälliger für Seitenwind. Man spürt, wie das Bike unter einem zur Seite gedrückt wird, sogar wenn größere Fahrzeuge überholen schert es durch den Luftzug ein wenig aus.

Die Shimano Scheibenbremsen sind unglaublich, sie bremsen gleichmäßig und halten das Bike auf der Strecke und auf einer Linie. Selbst auf steilen Abfahrten und bei starkem Bremsen fühlt es sich stark und gut ausbalanciert an, was es einfach macht, das Hinterrad nicht blockieren zu lassen. Das Gefühl von Sicherheit, dass diese Bremsen einem vermitteln, sollte man nicht unterschätzen, und wir können sie gar nicht genug loben. Gute Arbeit, Shimano!

Die neue Dura-Ace Di2 wird ihrem Ruf gerecht, die Schaltvorgänge sind super präzise, butterweich, und die Schaltknöpfe an den Enden der Hoods erlauben zusätzlich Gangwechsel, was beim Klettern oder in der Aeroposition das umgreifen unnötig macht.; Diese clever Lösung ist Teil des Re-Designs der Di2. Shimano hat noch nicht bestätigt, dass sie auch bei der Ultegra Di2 zum Einsatz kommen wird, aber es ist durchaus wahrscheinlich.

Merida Reacto DISC TEAM-E

Im ersten Moment denkt man, es handelt sich dabei um die Art von sinnlosem Gimmick, von dem uns das Marketing immer glauben machen will, dass unser Leben irgendwie unvollständig ist. Jedenfalls so lange, bis man im Sattel sitzt und feststellt, dass man mit einem leichten Daumendruck schalten kann, ohne umgreifen zu müssen. Plötzlich fühlt sich das nicht mehr wie ein Luxus an, sondern essentiell, und man kann sich nicht mehr vorstellen, wie man jemals ohne gelebt hat…also naja, nicht ganz, aber praktisch ist es schon. Die Knöpfe an den Hörnern können via Bluetooth mit einem Garmin verbunden werden. Endlich fühlt sich das Leben vollständig an!

Fazit

Das Merida Reacto ist wie der gezähmte Drache, den man sich als kleines Kind immer gewünscht hat: mächtig, wild und furchteinflößend und trotzdem dein bester Freund. Dank des steifen Carbonrahmens wird jeder Tritt zur Beschleunigungsorgie, die durch die Race-Geometrie und die durchdachte Ausstattung nicht überfordert, sondern im Gegenteil motiviert noch mehr Gas zu geben. Daher ist die Antwort auf die Frage, ob ein Rennrad zu schnell sein kann ganz klar: nein!

Text: Hannah Troop | Bilder: Valentin Rühl


Für mehr Informationen: merida-bikes.com

Merida Reacto – Preise

Merida Reacto DISC TEAM-E | Rahmen: CF4 | Preis: 9.399 €
Merida Reacto 9000-E | Rahmen: CF4 | Preis: 7.799 €
Merida Reacto 8000-E | Rahmen: CF4 | Preis: 6.499 €
Merida Reacto 7000-E | Rahmen: CF2 | Preis: 3.999 €
Merida Reacto 5000 | Rahmen: CF2 | Preis: 2.250 €

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