Als weltweit erstes Magazin konnten wir im Rahmen des Design & Innovation Award das Focus Project Y in den Dolomiten testen.

Hier findet ihr unsere 5 wichtigsten Erkenntnisse über Elektro-Rennräder. Darüberhinaus kommt ihr hier zu unserem Test über das Orbea Gain. Außerdem liefern wir die Antwort auf die Frage: Sind wir bereit für die Elektro-Rennrad-Revolution?

Focus Project Y
Focus Project Y | 13,70 kg | – € (Prototyp)

Super(wo)man auf Knopfdruck?

„Habe ich die Form meines Lebens oder täuscht die Steigung und eigentlich fahre ich in der Ebene?“, hörten wir uns fragen, als wir bereits nach den ersten Metern auf KOM-Kurs waren. Mit bis zu 250 W zusätzlich sprintet das Focus Project Y in der stärksten Unterstützungsstufe nach vorne – am Berg purzeln die Prozente. Klar, dass man sich schnell wie Super(wo)man fühlen kann oder doch eher wie Bat(wo)man? Der schwarze Focus Project Y-Prototyp sieht auf jeden Fall stark nach Batmobil aus.

Ein sportlicher Fahrer ist mit dem Focus Project Y gute 35 % schneller am Berg als mit einem ultraleichten Climbers-Bike – trotz 13,7 kg Kampfgewicht. Bei unserem Test in den Dolomiten (San Vigilio/Kronplatz) verkürzte sich der Uphill auf dem Testloop von 11:30 auf 7:00 Minuten, was die Strava-Konkurrenz um ganze 30 Sekunden im Regen stehen lässt. Die Erleichterung für Strava-Fans: Es gibt eine spezielle E-Bike-Kategorie. Nichtsdestotrotz kann man die Kumpels ruhig schon losziehen lassen und es bleibt noch genug Zeit für einen Espresso und einen kurzen Tech-Talk mit dem Barbesitzer – effektives Time-Management nennt sich das im Business-Jargon.

Focus Project Y

Apropos: Fährt man in einer Gruppe, gleicht das Focus Project Y nicht nur die Unterschiede aus, sondern lässt auch Puste zum Diskutieren und rettet – Batman-typisch mit polarisierenden Maßnahmen – Freundschaften, Beziehungen und Businessmeetings auf dem Rad. Aber man muss aufpassen, dass man den nicht elektrisierten Kollegen nicht auf die Nerven geht …

Das Konzept des Focus Project Y

Das Focus Project Y setzt auf einen Mittelmotor des Münchner Start-ups Fazua, der eine Nennleistung von 250 W bietet. Im Gegensatz zu Mittelmotoren aus dem Hause Bosch oder Shimano ist der Fazua-Antrieb deutlich leichter, kompakter und – sehr wichtig – entkoppelt vollständig. Der Motor sitzt genauso wie der 250-Wh-Akku im Unterrohr des Carbonrahmens und treibt über ein simples Getriebe die Kurbel an. Der Nachteil des Mittelmotors ist, dass er die Kraft über die Kette überträgt und der Antrieb dementsprechend deutlich höheren Kräften und Verschleiß ausgesetzt ist. Unter Last sind Gangwechsel recht laut, im Vergleich zu E-Mountainbikes mit Bosch- oder Shimano-Motor jedoch deutlich smoother. Möchte man ohne Elektro-Unterstützung fahren, kann die 3,3 kg schwere Antriebseinheit inkl. Akku entnommen werden. Über eine noch sehr rudimentäre Steuerungseinheit am Lenker lassen sich die Unterstützungsstufen wählen, an ihr liest man auch die restliche Akkukapazität ab.

Focus Project Y
Das klobige Display ist noch ein Prototyp, wird der schicken Integration der Antriebseinheit in den Rahmen jedoch nicht gerecht.
Focus Project Y
Project Y – so lautet das Prototypen-Programm von Focus, das bereits in der Vergangenheit innovative Konzepte hervorgebracht hat.
Focus Project Y
Wer ohne Motorenunterstützung fahren will, kann die Antriebseinheit samt Akku herausnehmen und eine (noch nicht verfügbare) Abdeckung montieren – das Rad wird dann 3,3 kg leichter.
Focus Project Y
Im Unterrohr befindet sich die Akku- und Antriebseinheit, die zum Laden herausgenommen werden muss.

In der Praxis begeistert das Focus Project Y mit seinem hervorragenden Handling. Das Zusatzgewicht von Motor und Akku ist sehr zentral positioniert und exzellent ausbalanciert. Das erhöhte Gewicht von 13,7 kg drückt den E-Renner auf die Straße und sorgt für Sicherheit und Ruhe, insbesondere in der Abfahrt. Und auch oberhalb der 25-km/h-Begrenzungsschwelle fährt sich das Rad in der Ebene noch gut – klar spürt man das Mehrgewicht, aber der Motor entkoppelt zu 100 %, das Treten fällt leichter als mit Nabenmotor. In Kurven braucht es etwas mehr Kraft, um das rollende Gewicht auf Kurs zu halten, das Bike ist aber stets sehr berechenbar und präzise. Das liegt auch an dem sehr steifen Carbonrahmen und der recht harten Front – hier wäre etwas mehr Komfort wünschenswert. Die sportliche Sitzposition entspricht der Geometrie eines modernen Endurance-Bikes, augenscheinlich basiert das Focus Project Y auf dem aktuellen Focus Paralane. Die Optik ist sehr gelungen; vor allem die Akku-Integration haben die Cloppenburger exzellent hinbekommen. Bei unserem Testbike hakte jedoch der Verschluss der Akku-Halterung noch etwas. Zudem sieht das Bedienelement am Lenker noch sehr klobig und unpassend aus – man könnte meinen, jemand hat zu tief in die Lego-Kiste gegriffen … ja, wir wissen, es ist noch ein Prototyp!

Focus Project Y Focus Project Y
Focus Project Y

Der Fazua Evation-Motor

Der Motor überzeugt mit seiner sensiblen Unterstützung und Kraftentfaltung, weist jedoch noch einige konkrete Kritikpunkte auf. Per se ist die Unterstützung sehr geschmeidig und im Vergleich zum Nabenmotor des Orbea Gain deutlich sensibler. Der optimale Trittfrequenzbereich liegt zwischen 50 bis 90 Umdrehungen pro Minute, bei 70 bis 80 Umdrehungen fanden wir den Sweetspot. Selbst in einem schweren Gang schiebt das Rad noch sehr gut bergauf, laut Fazua liegt das an der generell sehr hohen Drehzahl des Motors.

Focus Project Y
Focus Project Y Focus Project Y

Während der Nabenmotor des Orbea kaum trittfrequenzabhängig performt und lange nachschiebt, fährt der Fazua am Berg seine Unterstützung etwas zu schnell und abrupt zurück. Das Resultat ist, dass das Focus in ein kleines Loch fällt und das hohe Gewicht das Rad ungewohnt schnell abbremst. Hier könnte sich Fazua Evation an State-of-the-art-Applikationen der Automobilindustrie anlehnen und ein natürliches Ausrollen (mit abrampender Unterstützung) des Bikes simulieren – ähnlich dem Coasting bei Autos. Das Gleiche gilt für die 25-km/h-Schwelle. Das Abschalten des Motors erfolgt zwar geschmeidig, ist aber stärker spürbar als beim Nabenmotor des Orbea. Pendelt die Geschwindigkeit um die 25-km/h-Grenze hin und her, dann wird der Unterschied am deutlichsten, da man einem konstanten On-Off-Feeling ausgesetzt ist. Am besten lässt sich das anhand einer Automatikschaltung am Auto erklären: Schaltet die Automatik bei 60 km/h in den höheren Gang und fährt der Fahrer konstant an der 60 km/h-Schwelle, schaltet das Getriebe erst wieder bei beispielsweise 55 km/h in den niedrigeren Gang, um ein ständiges Schalten zu verhindern und ein geschmeidigeres Fahrverhalten zu erreichen. Eine sogenannte Hysterese in der Schaltlogik würde das Fahrerlebnis also spürbar verbessern. Ein weiterer Kritikpunkt an der Software: Hält man mit etwas Druck auf dem Pedal an, schiebt der Motor nach, was zu kurzen Schreckmomenten und auch Schlimmerem führen kann.

Focus Project Y

  Das Focus Project Y ist für unterschiedlichste Einsatzzwecke geeignet – vom Pendeln bis hin zu Grouprides – und begeistert mit einer bereits mehr als guten Performance.

Und warum könnte man seinen nicht elektrisierten Kollegen auf die Nerven gehen? Akustik und Geräuschentwicklung des Elektromotors spielen ebenfalls eine wichtige Rolle – zumindest für alle, deren Ohren noch zarte Mozartklänge in pianissimo wahrnehmen können. Der Fazua Evation ist deutlich lauter als der Nabenmotor des Orbea; zudem ist ein hochfrequentes Pfeifen des Spannungsreglers vernehmbar, das man vor allem als Beifahrer wahrnimmt. Eine weitere Besonderheit ist der Freilauf in der Kurbel, der die vollständige Entkopplung des Mittelmotors überhaupt erst ermöglicht. Dieser doppelt sich mit dem Freilauf der Nabe und besitzt ein etwas geringeres Losbrechmoment. So kann es sein, dass man kurze 2 Sekunden den Freilauf an der Kurbel knattern hört, bis der Freilauf der Nabe mit einem anderen Surren einspringt.
Unsere Wünsche zur Serienfertigung: ein Display – wer schon elektronisch unterwegs ist, misst auch gerne und möchte sehen, wie schnell und mit wie viel Watt er unterwegs ist. Für Nachtfahrten wären dimmbare LEDs der Akku-Anzeige sinnvoll, damit man nicht geblendet wird.

Fazit

Das Focus Project Y ist eine faszinierende Innovation, die viele Fragen aufwirft und Denkanstöße für die Zukunft der Elektro-Rennräder liefert. Integration und Konzept erscheinen für unterschiedlichste Einsatzzwecke – vom Pendeln bis hin zu Grouprides – geeignet und begeistern mit einer bereits mehr als guten Performance, wohlgemerkt obwohl sich das Bike noch im Prototypenstatus befindet. Deshalb ist die geäußerte Kritik als Verbesserungsvorschlag für die Serienbikes zu sehen. Wir können es kaum erwarten, dieses Batmobil in Serie zu sehen!

Tops

– Integration in Carbon-Rahmen
– super ausbalanciertes Handling
– Herausnehmbare Akku- und Motoreneinheit

Flops

– Klobiges Display
– Geräuschentwicklung des Motors
– Geringer Komfort der Alu-Anbauteile


Mehr Informationen findet ihr unter focus-bikes.com

Hier findet ihr unsere 5 wichtigsten Erkenntnisse über Elektro-Rennräder. Darüberhinaus kommt ihr hier zu unserem Test über das Orbea Gain. Außerdem liefern wir die Antwort auf die Frage: Sind wir bereit für die Elektro-Rennrad-Revolution?


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Text & Fotos: Robin Schmitt