Ist „alle gegen einen“ wirklich immer unfair? Nicht, wenn der „eine“ Marcel Kalz ist und sich eine Gruppe tapferer Berliner aufmacht, an einem frostigen Dezembertag seine KOMs zu knacken. Wie der Vorgeschmack aufs Six Day Berlin lief und ob es geklappt hat, an Kalles Thron zu sägen, lest ihr hier.

Spannend, spaßig und exzentrisch – seit über hundert Jahren ist das Berliner Sechstagerennen der Pflichttermin für die Berliner Fahrradszene. Dort gab es immer einen warmherzigen Mix aus Party und Sportveranstaltung, der zwei Weltkriege, Biopace-Kettenblätter und den Fixed-Gear-Trend überlebt hat. Auch im Januar 2017 wird das nun Six Day Berlin getaufte Spektakel am Start sein und wie schon seit Jahren die lokale Fahrradszene unterstützen. Weil es bis Januar noch so lange hin ist, konnte man aber schon jetzt eine mutige Schar Biker beobachten, die sich durch den nasskalten Sonntag kämpfte, um an der Strava Raid „Alle gegen Kalle“ teilzunehmen, die von Six Day Berlin organisiert, von Standert Bicycles präsentiert und sowohl von Wahoo Fitness als auch vom GRAN FONDO Cycling Magazine unterstützt wurde.

Strava bringt passionierte Radsportler ihren Idolen näher als jemals zuvor. Aber statt einen dadurch auf den Boden der Tatsachen zu holen, wächst die Achtung vor deren Leistung nur noch mehr. Und während die Fans ihren Idolen näherkommen, kommen auch die Fahrer ihren Fans näher – eine wundervolle symbiotische Beziehung, die „Alle gegen Kalle“ inspirierte. Und eine willkommene Ausrede, um die Fahrradszene schon mal einen Monat vor dem nächsten Sechstagerennen im Januar aufzumischen.

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Die Geschichte des Radfahrens definiert sich über die Technik der Bikes, den Style der Fahrer und die Spitzensportler der jeweiligen Zeit. Das Bahnfahren erlebt gerade eine neue Ära, in der alte Giganten wie Robert Bartko, Guido Fulst oder Bruno Risi durch neue Legenden ersetzt werden. Eine davon ist Marcel Kalz aka Kalle.

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Zusammen mit Juliane Bötel, PR-Managerin von Six Day Berlin, traf ich mich mit zehn knallharten Berliner Bikern und Fans der Standert-Feierabendrunde, die wir durch ein digitales Abzeichen, ein Event-Shirt, Tickets zum Six Day Berlin und Goodies von Wahoo angelockt hatten – an einem 3 °C kalten Sonntagmorgen, auf eine 75 km lange Fahrt über flachen Brandenburger Asphalt. Die Mission: Wir suchten nach KOMs von Marcel Kalz, der als lebendes Beweis- und Vergleichsexemplar mit am Start war.

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Wie bei jeder Feierabendrunde war die Atmosphäre freundschaftlich, das Benehmen diszipliniert und die Stimmung gut, als wir aus Berlin rollten. Angeführt wurden wir vom berühmten Team Standert-Van, der von Max Faschina und unserem Propaganda-Minister Constantin Gerlach besetzt war, um die Qualen der nächsten Stunden zu dokumentieren. Kaum waren wir aufgebrochen, begann es auch schon zu regnen, und ich ging im Kopf die Dinge durch, die ich entweder vergessen oder falsch eingepackt hatte. Irgendwann fand ich mich dann aber einfach mit den Karten ab, die mir das Schicksal ausgeteilt hatte.

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Da wir in einer großen Gruppe unterwegs waren, war in dieser Regenfahrt ein Platten eigentlich unvermeidbar und der ereilte uns dann auch auf Kilometer 16. Ohne sich zu beschweren, sprang Marcel selbst in die Bresche und half dem geplagten Fahrer, dessen eingefrorene Finger einfach nicht mehr richtig gehorchen wollten. Schleichwerbung für seinen Sponsor, Roeckl? Natürlich nicht, Marcel ist einfach ein cooler Typ.

Danach ging es nach ein paar Faxen für die Kamera weiter zum ersten Segment des Tages: „Bernau–Wandlitz TT“, das durch drei Kreisel und am majestätischen Wald des Liepnitzsees entlangführte. Ein beliebtes Ausflugsziel, das an diesem Wochenende Schauplatz für extrovertierte Wakeboarder war.

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Nach einem etwas chaotischen Start („Geht’s schon los? Was? Los, los, los! Okay!“) versank meine Welt in Schmerz, Lärm und Sprühnebel, während ich versuchte, mit dem Feld mitzuhalten – und während Marcel, Rolle 55 und Bernd Köhler am Horizont verschwanden. Jeder aus der Gruppe gab alles, um an die Spitze zu kommen, während ich einfach nur die Zähne zusammenbiss und panisch versuchte, nicht den Anschluss zu verlieren. Wie im Krieg war es schrecklich und glorreich zugleich und jeder Versuch, mich aus dem Sprühnebel meines Vordermannes zu befreien, scheiterte kläglich. Irgendwie schaffte es der Großteil von uns zusammenzubleiben und nach einer halben Ewigkeit trafen wir am letzten Kreisel auch wieder auf die Sprint-Ausreißer – So standen wir erst mal da: völlig durchnässt, mit verzerrten Gesichtern und in der festen Überzeugung, genauso heldenhaft auszusehen wie wir uns fühlten.

Nach einem kurzen Halt fuhren wir in lockerem Tempo weiter und genossen die angenehme Ablenkung, die die jeweilige Gesellschaft bei den widrigen Bedingungen bot. Außerdem ließen wir uns von Marcel beeindrucken, der im Stehen voll aufdrehte und sein Vorderrad bei etwas mehr als 30 km/h an der Stoßstange des Vans rieb.

Schließlich kamen wir zu einer ziemlich beeindruckenden KOM-Sektion, dem „Tankstellensprint“. Ein solcher KOM war allerdings nichts mehr für diese Tageszeit. Denn auch ein KOM ist es nicht wert, sein Leben aufs Spiel zu setzen.

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(Falls sich jemand wundern sollte: Marcel hat diesen KOM natürlich nicht motorisiert geholt. Zeugen sind der aktuelle Deutsche Meister Max Beyer und der ehemalige Weltmeister Werner Otto.)

Zurück bei Standert freuten sich zehn zerstörte Fahrer auf warmen Cider von Bulleit Bourbon und saßen mit den handverlesenen Gratulanten (inklusive Roger Kluge!) zusammen in einer Runde, wie sie nur eine schmerzhafte Dezembertour schmieden kann.


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Text: Bregan Koenigseker Fotos: Constantin Gerlach