Wer im aktiven Radsport aufgewachsen ist, hat seine ersten Rennkilometer in einem Kriterium zurückgelegt. Wer erst später dazugestoßen ist, hat bis dahin vermutlich wenig von dieser Disziplin gehört. Dabei kommt das klassische Format gerade wieder zurück – mit „Fixed Gear Crits“ aus der Trendschmiede der Szene.

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Beginnen wir aber von vorne: Was sind überhaupt Kriterien und was haben „Fixies“ im Straßenrennsport zu suchen? Unter den vier Hauptdisziplinen des Straßenradsports spielt das Kriterium eine eher untergeordnete Rolle. Die logistischen Anforderungen, die an Eintages- oder Etappenrennen gestellt werden, sind meistens nur von professionellen Rennveranstaltern zu bewältigen. Ganz zu schweigen von der trainingsintensiven Vorbereitung, die vonnöten ist, um als Sportler überhaupt teilnehmen zu können. Selbst um beim Zeitfahren, dem einfachsten aller Formate, konkurrenzfähig zu sein, bedarf es immer mehr spezialisierter Technik, die für den Normalverbraucher kaum erschwinglich ist. Das Kriterium stellt deshalb wohl die zugänglichste Disziplin dar und ist aus diesem Grund das häufigste Rennformat im lizensierten Amateurradsport.

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Die Regeln

Kriterien werden auf einem abgesperrten Kurs mit einer Rundenlänge von 1 bis 3 km ausgetragen. Die Distanz richtet sich nach der Länge der Runden und errechnet sich ähnlich wie bei Cyclocross-Rennen, sodass man am Ende auf eine Renndauer von etwa 1 h kommt. Meistens im innerstädtischen Raum ausgetragen, sind Kriterien somit ein sehr zuschauerfreundliches Format, da man den Rennverlauf an der Strecke länger als die üblichen 10 s verfolgen kann, innerhalb derer ein Peloton an den am Straßenrand wartenden Fans vorbeirast.

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Im Laufe des Rennens werden darüber hinaus regelmäßig Wertungssprints ausgefahren. Nach ursprünglich französischer Auffassung von Critérium (Maßstab, engl. touchstone) gewinnt derjenige, der am Ende die meisten Punkte erfahren hat und nicht unbedingt derjenige, der als Erster die Ziellinie überquert. So lässt sich ein klassisches Straßenkriterium am ehesten mit dem Punktefahren auf der Bahn vergleichen. Diese klassische Form findet sich so heute allerdings nur noch in Europa, speziell im deutschsprachigen Raum. Weitaus zuschauerfreundlicher und klarer ist da die angloamerikanische Variante, in der auf Endspurt gefahren wird. Die Wertungen werden um Prämien (preems) ausgefahren, die entweder in Sach- oder Geldpreisen entlohnt werden.

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Das Anforderungsprofil

Wer annimmt, dass es sich bei einem Kriterium nur um ein einfaches einstündiges Radrennen handelt, macht einen Fehler. Denn im Vergleich zu den großen Rundfahrten wie der Tour, dem Giro und der Vuelta, bei denen der Sieger die 3.500 km mit durchschnittlich 40 km/h bezwingt, werden beim Kriterium nicht selten Durchschnittsgeschwindigkeiten von 50 km/h erreicht. Bedenkt man dabei, dass ein Kurs von wenigen Kilometern zwangsläufig mehrere Kurven und nur kurze Geraden enthält, lässt das einige Schlüsse auf die explosionsartigen Antritte und schnellen Bremsmanöver zu.

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Ein Einrollen zu Anfang des Rennens oder ein Mitrollen im Feld gibt es nicht. Der Puls ist konstant im roten Bereich und wenn er es nicht ist, dann hat man das Konzept nicht richtig verstanden. Vom Start weg brennen Lungen und Beine, das Feld ist aufgereiht wie an einer Perlenschnur. Bei größeren Teilnehmerfeldern dauert es dann gut 20 s, bis alle Fahrer den Start-/Zielbereich passiert haben. Einmal abgeschlagen im mittleren oder hinteren Teil des Feldes kann man nicht mehr um die vorderen Plätze konkurrieren. Erfolgreiche Kriteriumsfahrer müssen also sehr sprintstark und ausdauernd mit ihrer Kraft sein. Außerdem bedarf es sehr guter Steuerkünste, um die Kurven mit über 40 km/h fahren zu können. Hier kann man viel Kraft sparen, wenn man nicht allzu sehr an Geschwindigkeit verliert.

Mit Bahnrädern?

Angesichts der Geschwindigkeit und der geforderten Radbeherrschung hat man als Anfänger wohl zu Recht einigen Respekt vor diesen Rennen. Aber jetzt stellt euch das Ganze bitte mal auf Bahnrädern vor – ohne Freilauf und ohne Bremse.

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New York gilt als Geburtsort des „Fixed Crits“, wo im Jahre 2008 wohl das erste Mal jemand auf die verrückte Idee kam, ein solches Rennen mit Bahnrädern auszutragen.
David Trimble versammelte zu seinem Geburtstag seine Freunde und veranstalte ein Kriterium in der Nachbarschaft von Red Hook, Brooklyn. Natürlich war der Kurs nicht offiziell angemeldet und die Räder entsprachen auch keinen offiziellen Richtlinien. Es war einfach der Versuch, das „street racing“, wie man es aus der Kurierszene von Alley Cats her kannte, in eine zuschauer- und partyfreundliche Form zu packen.

Kurz darauf war der Fixed Gear Hype auf seinem vorläufigen Höhepunkt. Filme vom Mash- und Macaframa-Kollektiv verbreiteten den Lifestyle der amerikanischen Kuriere auf ihren Bahnrädern dank der sozialen Medien bis in die hinterste Ecke der Welt. Alley Cats (Rennen im öffentlichen Straßenverkehr, die den Kurieralltag simulieren) gab es kurz darauf von Shanghai über London bis nach San Francisco und das „Fixie“ wurde zum Inbegriff des Hipsteraccessoires. Geboren war eine neue Radsportdisziplin, die sich in ungeahnter Weise aufmachte, erst die sozialen Medien und dann auch die Industrie zu erobern.

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Über neun Jahre hinweg hat sich das „Red Hook Crit“ zu einer internationalen Rennserie entwickelt und wird noch immer von Trimble veranstaltet: New York, London, Barcelona und Milano sind Stationen der Serie, die in der Szene als inoffizielle Weltmeisterschaft angesehen wird. Die Fahrer sind nur noch teilweise in der Kurierszene zu finden. Zunehmend finden sich aktuelle und ehemalige Profisportler an der Startlinie, gesponsert von großen Namen aus der Bike- und Fashion-Industrie. Das Zuschauerinteresse steigt mit jedem Jahr und die mediale Aufarbeitung der Rennen ist aktuell fast besser als die einiger World Tour-Profirennen – auch wenn die Reichweite und der Bekanntheitsgrad natürlich nicht mithalten können. Was geblieben ist, ist die Zugänglichkeit. Es gibt weder Lizenzen noch Beschränkungen für die Teilnehmer. Die Anmeldung ist offen für jeden, der schnelles Internet hat. Die 250 Startplätze sind meistens innerhalb weniger Minuten ausverkauft.

Einmal angemeldet braucht es außer einem Bahnrad und einem Helm nur schnelle Beine, um die Qualifikationsgruppen zu überstehen. Beim Red Hook Crit starten die Fahrer in 5 oder 6 verschiedenen Gruppen und kämpfen jeweils 20 min um die schnellste Rundenzeit. Hier geht es zu wie beim Qualifying im Motorsport. Windschattenfahren ist erlaubt, mit anderen Fahrern auf der Rennstrecke muss man sich arrangieren und Stürze und deren Vermeidung sind entscheidend für eine gute Zeit. Am Ende werden die 85 Zeitschnellsten im Finale sein.

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Das Hauptrennen findet stets nach Sonnenuntergang statt, was an sich schon ein Spektakel ist. Das Rennen ist vom Start weg hart umkämpft, nicht zuletzt durch die erste Prämie, die nach der ersten Zielpassage vergeben wird. Im Gegensatz zum normalen Straßenradsport werden die Positionskämpfe im hinteren Teil des Feldes teilweise härter ausgetragen als bei den Führenden. Stürze sind so unvermeidbar und oft in ihrem Ausgang auch verheerender als bei Rennen, bei denen man sich auf seine Bremsen verlassen kann. Schließlich braucht es auf einem Fixie nicht nur Kraft, um das Rad zu beschleunigen, sondern auch viel Kraft, um es abzubremsen. Gerade in diesen Situationen wird es häufig brenzlig, wenn die Räder blockieren und die Fahrer ineinander fahren. Hinzu kommt die Kurvenlage, die durch den fehlenden Freilauf gegenüber dem Rennrad eingeschränkt ist. Wenn das Pedal erst einmal den Boden streift, ist es fast unmöglich, einen Sturz zu vermeiden. Am Ende gewinnt also nicht nur der stärkste und ausdauerndste Fahrer, sondern auch der, der die besten technischen Fähigkeiten sowie den größten Mut aufzuweisen hat (Stichwort: biggest balls) und nicht davor zurückschreckt, Schulter an Schulter seine Position zu verteidigen und in die auch noch so kleinste Lücke vorzustoßen.

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Trotz der Professionalisierung ist der ursprüngliche Punk-Charakter der Veranstaltung noch immer zu spüren – spätestens auf den Partys nach dem Rennen, wenn die Rennfahrer nicht nur unter sich, sondern mit den Veranstaltern und Zuschauern bis in den Morgen tanzen. Frei nach dem Motto: Wer hart fährt, kann auch hart feiern.

Die Red Hook Crit Championship Series beinhaltet die mit Abstand beliebtesten und am stärksten umkämpften Crits weltweit. Das Niveau spiegelt die aktuelle Weltklasse dieses Sports wieder und ist daher weniger für Anfänger geeignet. Wer sich zum ersten Mal ausprobieren möchte, dem seien die zahlreichen anderen Rennen in ganz Europa ans Herz gelegt. Checkt dazu unseren Rennkalender für die neuesten Termine!

Text: Maxe Faschina Bilder: Paolo Martelli für Asssavers


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