579 km, 12.160 Höhenmeter und 2,5 kg Serranoschinken: Stefan und Ad waren eine Woche unterwegs im größten Naturschutzgebiet Spaniens und kämpften dort mit Viren, optischen Täuschungen und Petrus höchstpersönlich. Was sie erlebt haben, lest ihr hier.

So viel zum Thema Planung

Die Vorzeichen unserer Tour waren vielversprechend: Das Wetter sollte schön werden, die Strecke war auf der Karte eingezeichnet; ich war jahrelang nicht krank gewesen und alle 206 Knochen in Stefans Körper waren dort wo sie sein sollten. Auch die Planung gestaltete sich spaßig: Was nehmen wir mit? Welche Strecke nehmen wir? Wo schlafen wir? Wir kauften Landkarten und schauten schon mal alles bei Google Street View an, in dem sicheren Wissen, dass die besten Straßen und Wege nicht „streetviewbar“ sind. So unterschiedlich Touren ausfallen – die guten, von denen man Jahre später noch spricht, haben meist einen gemeinsamen Nenner: Sie verlaufen völlig anders als geplant.

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Ein Start für Gewinner

Stefan wollte schon seit Jahren durch den Naturpark fahren, dessen Name einfach nicht enden will, nämlich den Parque Natural Sierras de Cazorla, Segura y Las Villas. Dieser Naturpark in Jaén, einer Provinz in Andalusien, ist das größte Naturschutzgebiet in Spanien und das zweitgrößte in Europa. Mitte März war es endlich so weit: Stefan nahm einen Tag vorher die Fähre von Ibiza nach Denia, um dann irgendwo in der Nähe des Flughafens von Valencia zu campen und mich am nächsten Tag dort abzuholen. Er fand zwar auch einen netten, abgeschiedenen Zeltplatz mitten in der Pampa, schaffte es dabei aber irgendwie, in der Nacht die Autobatterie leergehen zu lassen. Hilfe war nicht gerade schnell aufzutreiben, denn der Typ vom Pannenservice überlegte allen Ernstes, ob er sich mit der Reise zu Stefans Zeltplatz an einen verlassenen Tatort begab oder selbst als Opfer vorgesehen war. So kam es auch, dass wir uns tatsächlich darüber freuten, dass mein Flug ein paar Stunden Verspätung hatte – dadurch hatte Stefan immerhin genug Zeit, eine neue Batterie aufzutreiben.

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Mit oder gegen den Uhrzeigersinn?

Unser erster Stopp war ein Hotel in Hellín, etwa zweieinhalb Autostunden vom Nationalpark entfernt. Dort wollten wir Stefans Auto stehen lassen, unsere Ketten ölen und neue Vittoria-Reifen montierten. Die Entscheidung, das Auto zurückzulassen, sollten wir aber noch tüchtig hinterfragen: Denn je näher wir dem Nationalpark kamen, desto mehr verdunkelte sich der Himmel. Nachdem wir diverse Wetter-Apps befragt hatten, entschlossen wir, wenigstens das gröbste Unwetter zu umgehen, indem wir die geplante Runde über Bord warfen und stattdessen im Uhrzeigersinn fuhren. Was uns als clevere Alternative erschien, sollte uns später zum Verhängnis werden – Stichwort Rotkäppchen. Nach fast 100 km und einigem Herumirren war klar, dass wir die Sache mit den Zelten für den Moment verwerfen und ein Hotel finden mussten – wir waren vom rechten Weg abgekommen. Die Tatsache, dass wir ein Hotel aufsuchen mussten – natürlich auch, um die Einheimischen zu unterstützen – kam mir ganz recht, da ich zu keuchen und husten begonnen hatte. Auf jedem Anstieg, der größer war als eine Bodenwelle, ging mir fast die Puste aus.

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Hagel und Donner

Am nächsten Tag kehrten wir zu unserer ursprünglichen Route im Uhrzeigersinn zurück. Nach einem schönen, sonnigen Tag auf dem Bike beschlossen wir, genug Essen und Wasser für den restlichen Tag und den nächsten Morgen, und auch Wasser für eine Dusche zu kaufen. Entlang der Route fanden wir ein paar ebene Quadratmeter am Hang und schlugen dort unsere Zelte auf. Und siehe da: Das Wasser für die Dusche hätten wir uns sparen können, denn kaum eine halbe Stunde später begann es zu nieseln. Aus dem Nieseln wurde Regen, aus dem Regen heftiger Hagel und Gewitter. Und in den Bergen macht ein Gewitter nicht viel Spaß. Zum Glück hatten wir unser Hilleberg Allwetter-Zelt und solange die Alustäbe nicht zu surren begannen, redeten wir uns ein, auf der sicheren Seite zu sein – und dieser Plan ging zur Abwechslung auch tatsächlich mal auf.

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Mud Wrestling in Spaniens Süden

Grundsätzlich sind wir überzeugt: Anstiege machen Spaß und zahlen sich aus. Hinterher kribbelt dieser unvergleichliche Stolz im Brustkorb und als Belohnung hat man auch sofort eine schöne Aussicht oder eine großartige Abfahrt zu genießen. Aber in diesem Fall hätten wir am dritten Tag dem Gelände misstrauen sollen. Ein weiterer Tag endlosen Bergauffahrens lag vor uns, jetzt auf einem matschigen Weg. Unsere Vittoria Adventure-Trailreifen schlugen sich tapfer, doch angesichts des Schlamms fragten wir uns doch, warum wir keine Vittoria Bombolonis mitgenommen hatten. Nach jeder Kurve ging es weiter nach oben, keine Erholung in Sicht. Die scheinbar endlosen 30 km im Schlamm und bei Regen zehrten unsere Kräfte auf und ich zitterte wie Espenlaub. Es gab aber auch ein Highlight an diesem Tag: eine Gruppe von etwa 15 Rehen, die ein paar Hundert Meter mit uns mit liefen. Sehr imposant!

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Täglich grüßt das Murmeltier

Oh, diese endlosen Anstiege … falls ihr den niederländischen Grafikkünstler M.C. Escher nicht kennt, googelt ihn doch mal bitte. Eines seiner bekanntesten Werke ist das Bild „Treppauf Treppab“, das von der endlosen Penrose-Treppe inspiriert wurde. In dem Bild sind zwei Gruppen von Männern zu sehen: eine bewegt sich im Uhrzeigersinn und geht immer nur treppauf, die andere läuft dem Uhrzeigersinn entgegen und ist die ganze Zeit abwärts unterwegs. Welche Richtung hatten wir uns nur ausgesucht?

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Eine Fata Morgana im Nebel

Nachdem wir zwei Nächte in einer gemieteten Wohnung im malerischen Segura de la Sierra Unterschlupf gefunden hatten, hatten sowohl der Regen als auch meine fiebrige Erkältung mehr oder weniger aufgehört. Es herrschte aber dichter Nebel und bald waren wir wieder nass und durchgefroren. Das Schöne an Spanien ist, dass es eigentlich überall eine Bar in der Nähe gibt mit gutem Kaffee, Bier und Jamón. Wie es das Schicksal so wollte, war das auch hier der Fall. Plötzlich tauchte eine dieser Bars vor uns im Nebel auf, fast wie eine Fata Morgana. Davor stand ein Pferd, das auf den Hufschmied wartete, und drinnen an der Wand hingen drei ausgestopfte Wildschweinköpfe, um die Gäste zu begrüßen. Ein cooler Ort, um einen Kaffee und etwas Schinken zu genießen und unsere Regen- und Daunenjacken zu trocknen. Am Ende dieses weiteren kalten Tages landeten wir schließlich in einem Hotel in Santiago de la Espada.

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Vom Regen in den Schnee …

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Die Hochebene Campos de Hernán Perea war für uns während der Planung immer eines der Highlights der Tour gewesen. Doch die Einheimischen im Hotel sagten einmütig, dass es bei der Menge Schnee unmöglich sei, dort Rad zu fahren. Wir versuchten es trotzdem. Und zum Glück hatten sie Unrecht. Was für ein Tag! Die atemberaubende Natur, die endlosen Aussichten, schneebedeckte Berge, Füchse, Raubvögel und die sich wieder herauswagende Sonne führten schließlich dazu, dass dieser Ort in meiner Liste der All-Time-Highlights ganz schön weit oben steht. Abgesehen von drei Männern auf Pferden sahen wir keine Menschenseele und mussten die Räder nur ein paar Mal kurz durch den Schnee schieben.

… und zurück in die Sonne

In den nächsten Tagen fanden wir uns wiederum auf der Penrose-Endlos-Treppe wieder, immerzu ging es bergauf, unser Weg wand sich durch wunderschöne Berge und kleine Dörfer, die sich zwischen die Felsen schmiegten, führte vorbei am riesigen Stausee Embalse del Tranco, an vielen Olivenbäumen, deren wundervolle Blätter im Wind silbern schillerten, ein paar Büschen, durch die wir die Bikes tragen mussten, und an noch mehr Jamón. Unsere Zeltplätze waren idyllisch: an einem Tag mitten in einem Olivenhain, am nächsten neben einem Schild, das vor aggressiven Bienen warnte (wir gingen davon aus, dass es den Bienen zu windig war, um aus ihren Stöcken herauszukommen). An beiden Abenden war das Licht fantastisch und wir kochten uns Pasta mit Tomaten- und Thunfischsauce. Und an beiden Abenden krochen wir schon früh in unsere warmen Schlafsäcke, denn ich fröstelte und zitterte schon wieder. Später würde sich herausstellen, dass ich Bronchitis und eine Nebenhöhlenentzündung hatte.

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Eine Neuinterpretation des Firefly-Bones-Projekts

Wir lieben unsere Touringbikes beide, Stefan sein ff236 und ich mein ff340. Firefly hat uns fantastische Bikes gebaut, die uns schon an viele großartige Orte gebracht haben. Es gab mal eine ziemlich coole Kooperation zwischen Firefly und Eric Bones, und als Hommage an die Marke führten wir auch auf dieser Tour unser eigenes „Firefly-Bones-Projekt“ weiter. Vor fast zwei Jahren war ich in Rumänien mit meinem Firefly auf dem Boden gelandet und hatte meine linke Hüfte gebrochen, eine Oberschenkelhalsfraktur, wie ich später erfuhr. Diesmal war Stefan mit dem Bones-Part dran: Auf einem Wanderpfad in einer atemberaubend schönen Schlucht hatte er eine unglückliche Begegnung mit einem Stein, die mit einem gebrochenen Ellenbogen endete. Zum Glück war es der letzte Tag, und wir waren nur noch 40 km vom Hotel in Hellín, dem Ausgangspunkt unserer Tour, entfernt. Mithilfe von einigen Ibuprofen schaffte er die Fahrt zurück zum Hotel. Eine Röntgenaufnahme zeigte ganz klar den 207. Knochen in seinem Körper – und damit wenigstens ein kreatives Souvenir von einer Tour, die ganz anders verlief als geplant. Und die wir dennoch auf keinen Fall missen wollten.

Vielen Dank für die Unterstützung an: Firefly Bicycles, Pedro‘s, Vittoria tires, Rapha.

Die Strecke: strava.com

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Text: Ad Vermaas, Cathrin Rieger (Übersetzung) Fotos: Stefan Rohner, Ad Vermaas